top of page

Phasen in Paarbeziehungen

Längere Partnerschaften unterliegen unweigerlich Krisen. Das ist ganz normal. Unsere Vorstellung von romantischer Liebe, in der der Partner all unsere Bedürfnisse erfüllt, und wir es immerwährend schön und harmonisch miteinander haben, ist zwar ein schöner Traum. Aber in der Realität lässt er sich nicht halten.

Phasen in Paarbeziehungen I Achtsamkeit Blog

Mit meinem Partner, meiner Partnerin gut in Beziehung zu sein, erfordert die Fähigkeit, einander überall dort verstehen und mitfühlend sein zu können, wo verschiedene Bedürfnisse aufeinander treffen. Gelingt das in einer Art und Weise, in der die Bedürfnisse beider sein dürfen, gelingt Beziehung. Entsteht in diesen Momenten ein Kampf darüber, welches Bedürfnis sich durchsetzt, entsteht Trennendes in Beziehungen, das nicht so einfach wieder verschwindet.


Ich schaue heute auf fünf Phasen, die Paarbeziehungen in der Regel durchlaufen. Wie wir mit unseren eigenen Bedürfnissen und mit den Bedürfnissen unseres Partners umgehen, entscheidet in der Tiefe darüber, wie sich Beziehung anfühlt.


Die Perspektive der 5 Phasen kann eine gute Positionsbestimmung für die eigene Beziehung sein. Wo befinde ich mich gerade? Wo befinden wir uns gerade? Wie möchten wir von hier weg unsere Beziehung gestalten? Und wie kann es gelingen, dass wir uns beide gesehen und verstanden fühlen.


Wir beginnen am Anfang von Beziehung....

Die erste Phase - "Verliebtheit"

Wenn wir uns verlieben, sind wir im siebten Himmel. Es ist ein Zustand, in dem beide Partner in gewisser Weise das Gefühl haben, endlich die Mutter gefunden zu haben, die sie immer gesucht haben. Endlich ist da jemand, der alle meine Bedürfnisse erfüllt, ohne dass ich sie erklären muss. Egal was ich mache, der andere findet es gut und nimmt mich so an, wie ich bin. Das ist die Erfüllung einer tiefen Sehnsucht, die oft von Kindesbeinen besteht. Endlich ist es okay so zu sein, wie ich bin. Ich werde genau dafür geschätzt und geliebt und ich kann das Gleiche für mein Gegenüber sein. So fühle ich mich gesehen, verstanden und geliebt. Diese Phase ist ein großer Genuss. Doch ist sie ein hormoneller Ausnahmezustand, der in der Regel nicht lange andauert. Wenn man einige Zeit miteinander verbracht hat - wird man zwangsläufig in irgendeiner Sache vom Anderen ent"täuscht".


Wenn der Ausnahmezustand der absoluten Bezogenheit aufeinander endet, kommt zwangsläufig der Alltag wieder ins Leben und damit Lebensumstände, Gewohnheiten, Freunde, Bekannte und Familie des anderen - mit einem Wort, die erweiterte Realität, in der der andere lebt - seine Werte, seine Ziele, seine ganze Identität. So kommt es das erste Mal zu Irritationen und zur Landung in der Realität. Ich begegne der Erkenntnis, dass mein Gegenüber anders als ich und er hat auch andere Bedürfnisse.


Mit dieser Erfahrung endet etwas vom Gefühl der absoluten Verschmelzung. Man macht ein Stück weit zu, geht ein Stück weit auf Distanz. Das Bild, das ich vom anderen Menschen habe, wo wir uns in allem ergänzen, wird Stück für Stück abgelöst dadurch, dass ich den "ganzen" Menschen kennenlerne. Ich muss erkennen, dass ich in der Verliebtheit in Teilen blind war, dass ich mich getäuscht habe. Genau dieser Punkt ist für manche schwer zu nehmen. Viele Beziehungen enden nach der Verliebtheit...... und bald kommt dann eine neue Verliebtheit. Doch erst nach der Verliebtheit geht man eigentlich wirklich in Beziehung mit dem Anderen und Liebe kann entstehen.

Die zweite Phase - "Enttäuschung"

Die Enttäuschungsphase gleicht ein bisschen dem Auszug aus dem Paradies. Beide Partner versuchen, die Verliebtheitsphase aufrecht zu erhalten. Beide nehmen sich zurück, wenn unterschiedliche Bedürfnisse aufeinander treffen, um wieder zur Verschmelzung zu finden und Konflikte zu vermeiden. In dieser Phase opfert oft einer oder beide der Partner eigene Bedürfnisse für das Gemeinsame. So mache ich vielleicht Dinge mit, die mir eigentlich kein Bedürfnis sind - oder ich verzichte auf Sachen, wenn sie dem anderen kein Bedürfnis sind.


Vielleicht will ich mich eigentlich weiterhin mit Freunden treffen, stelle das aber zurück. Vielleicht stört den Anderen daran auch etwas - also verzichte ich. Hauptsache, der Partner ist glücklich - und damit die Beziehung. So versuchen beide, die ursprünglich gute Stimmung zu erhalten. Es ist ja auch verständlich, wenn man sich nach dem Menschen richtet, den man liebt - sonst würde man ihn ja nicht lieben - oder? Durch die Verliebtheit entsteht ein Gefühl, dass ich glücklich bin "durch" den Anderen. In dem Gefühl, dass der andere alle meine Bedürfnisse erfüllen kann, gebe ich sozusagen die Verantwortung für mein Glück an meinen Partner und an die Beziehung ab. Diese Anpassung birgt eine schlummernde Falle. Wenn ich mit Rücksicht auf den Partner zu mehr und mehr Dingen Ja sage, zu denen es bei mir eigentlich einen inneren Widerstand gibt, oder ich zu Dingen Nein sage, die ich eigentlich machen möchte, bringt mich das in Konflikt mit mir selbst. Diese Form der Anpassung ist ein schleichender Selbstverrat und legt den Samen für sich steigernde Konflikte in der Beziehung. Denn sage ich äußerlich ja zu Dingen, die mir nicht wirklich entsprechen, wächst nicht nur der innere Widerstand, sondern auch ein Widerstand gegen den Partner. In der Dynamik beginne ich nach und nach, mich als Opfer der Bedürfnisse meines Partners zu fühlen. Dabei merke ich oft nicht, dass ich mich selbst verrate, beziehungsweise mich in meinen Bedürfnissen nicht gut zeige. Gelingt es mir nicht, zu meinen Bedürfnissen zu stehen und sie so einzubringen, dass sie sein dürfen, wirkt das in Beziehungen immer trennend. Je höher der Selbstverrat der eigenen Bedürfnisse, desto größer wird der innere Druck und irgendwann kommt es zum offenen Streit, in dem alles Unausgesprochene, die Enttäuschungen und die nicht erfüllten Erwartungen hochkommen.


Dieser Streit führt oft zu einem tiefen Verlustgefühl. Wo ist der Mensch, in den ich mich verliebt habe? Es war doch anfangs alles so schön. Was ist mit unserer Beziehung passiert?


Die Einsicht ist leider, den Mensch, in den ich mich verliebt habe, den gibt es so in Wirklichkeit nicht. Wenn ich den suche oder versuche, ihn wieder zu erzeugen, werde ich ihn nicht finden.

Die dritte Phase - "Kampf"

Jetzt reicht es. Ich habe es satt, mich weiter anzupassen. Dabei vergesse ich gerne, dass ich mich selber in diese Anpassung begeben habe. Von beiden Seiten gibt es jetzt ein Aufbegehren gegen den Partner, das sich oft anfühlt, wie eine zweite Pubertät. Egal, was der andere macht, er kann es einem nicht recht machen. Jeder sieht sich selbst als Opfer des Anderen. Beide zählen sich gegenseitig ihre Fehler auf, beklagen sich, was sie alles erleiden müssen und stellen Ansprüche daran, wie der Andere sein müßte, damit sie ihn ertragen können. Beide fühlen sich vom Anderen vernachlässigt, abgelehnt und verstoßen. In der Kampfphase haben wir es immer schwer, uns selbst als Täter zu sehen und fühlen uns schnell als Opfer. Beide sehen sich in der Regel als Opfer des Anderen, aber niemand kann sich vorstellen, wie der andere ihn als Täter empfinden kann. Das macht die Situation in der Kampfphase so schwierig und oft so eingefahren. Man ist vielleicht schon lange zusammen, teilt Kinder oder Besitz, es gibt gegenseitige Abhängigkeiten - es ist nicht so leicht, sich zu trennen. Es hängt viel dran. Während Anspruch und Vorwurf an den anderen wachsen, wächst auch das Gefühl auf beiden Seiten, dass man nicht verstanden wird. Beide fühlen sich alleine. Keinem von beiden ist es möglich zu erkennen, dass die Lösung nicht darin liegt, lauter zu schreien, damit man gehört wird, oder sich noch mehr unterzuordnen oder zurückzuziehen - sondern darin zuzuhören.


Und zwar mit dem Ziel, den anderen zu verstehen und sich in ihn einfühlen zu können. In dieser Phase trennen sich viele Paare, oder ich werde anfällig dafür, mich wieder zu "verlieben". Wie zufällig taucht gerade jetzt jemand auf, der so perfekt zu mir paßt und ich sage meinem Partner vielleicht, dass ich ihn nie wirklich geliebt habe. Oft fühle ich in dieser Phase, dass die Trennung längst überfällig ist, aber etwas hält mich noch. Was mich hält, ist oft das Gefühl, dass es mir wichtig ist, doch noch gesehen und verstanden zu werden. Es war doch schon einmal möglich.

Wenn man es schafft, das Lebensmodell der Anpassung an den anderen aufzugeben, und seine eigene Lebendigkeit wiederzuentdecken, dann hat man eine Chance in die vierte Beziehungsphase überzugehen.

Gelingt es, zu meinen Bedürfnissen zu stehen, und für sie einzustehen - zu sagen, wie ich mein Leben gerne leben würde - ohne Vorwurf und ohne Anspruch an den anderen und ohne mich darin vom anderen abhängig zu machen, hat die Beziehung eine Chance, gut in die vierte Phase zu kommen.

Die vierte Phase - "Verhandlung"

Gelingt es beiden Partnern, in dieser Phase selbstbewusst zu ihren eigenen Bedürfnissen zu stehen und gemeinsam zu schauen, wo man sich trifft, und vom Anderen nicht zu erwarten, dass er alles teilt, was man selber gerne macht - wie man selber gerne leben möchte, dann beginnt man in gewisser Weise das erste Mal wirklich in Beziehung zu gehen - sich wirklich so zu zeigen, wie man ist. Es entsteht ein scheinbares Paradox. Eine unabhängige Beziehung auf Augenhöhe, die gerade dadurch eine Nähe ermöglicht, die in einer abhängigen Beziehung nie erreicht werden kann. Das Gefühl, Opfer des Anderen zu sein, hört auf. Freiheit ist möglich "und" gleichzeitig entstehen Vertrauen und eine tiefe Bindung. Auch wenn man schon 20 Jahre verheiratet ist, kann man sich hier noch neu kennenlernen. Es darf auf den Tisch kommen, worauf ich verzichtet habe und wie ich in der Partnerschaft lebendig sein möchte. Damit diese Phase gelingt, braucht es ein neues, tiefes Verständnis dafür, wie der Abgleich der verschiedenen Bedürfnisse in der Partnerschaft gelingen kann. Und es braucht "beide" Partner - die lernen wollen, was sie selber zum Kampf beigetragen haben und wie sie in Konflikten in eine bessere Verständigung kommen.


Ist eine Konfliktdynamik sehr eingefahren, ist es aus meiner Sicht hilfreich, sich in dieser Phase durch Paarberatung begleiten zu lassen. Denn ein Dritter kann sehr viel klarer sehen, wie die Dynamik im Konflikt Beziehung verhindert und hat einen klaren Kompass, nach welchem neuen Muster es gelingen kann, die verschiedenen Bedürfnisse gemeinsam leben zu können.


Wenn diese neue Verhandlung der unterschiedlichen Bedürfnisse gelingt und tatsächlich für "beide" befriedigend ist, kann man sich wirklich nahekommen und dabei sicher fühlen. In der Verhandlungsphase wird die alte Kampfbeziehung beendet, in der tiefen Einsicht, dass im Kampf nur verletzendes und trennendes für beide entsteht. Es gibt einen neuen Modus, Konflikte zu klären, in der sich beide gesehen fühlen. An diesem Punkt kann ein starkes Gefühl von Liebe und Ankommen entstehen, das sich vom blinden Gefühl der Verliebtheit sehr unterscheidet. Gelingt dieser Schritt, führt das in die fünfte Phase von Beziehung.

Die fünfte Phase - "Die reife Beziehung"

In einer reifen Beziehung ist es möglich, dass jeder für seine Bedürfnisse einsteht, auch wenn sie nicht den Bedürfnissen des Partners entsprechen. Und das ohne Vorwurf an den Partner, und ohne Anspruch, er müsse das eigene Bedürfnis teilen. Man steht sich nicht mehr als Gegner gegenüber, sondern als Verbündete, die gemeinsam einen guten Weg finden wollen. Der Zwang verschwindet um das Thema Bedürfnisse herum. Ich muss mich nicht mehr zwingen und zwinge auch mein Gegenüber nicht mehr. Und damit entstehen Möglichkeiten, verschiedene Bedürfnisse auf neue Art zusammenzuführen. Es ist wieder möglich dem anderen zuzuhören und ihn zu verstehen, ohne dass das Eigene bedroht ist, und ich daher in den Kampf gehen muss. Reif ist die Partnerschaft auch deswegen, weil beide Partner begreifen, dass sie für die Erfüllung ihrer eigenen Bedürfnisse selber verantwortlich sind. Dass sie nicht erwarten können, dass der Partner sie für sie erfüllt. Erst in dieser Erkenntnis sind beide Partner auf Augenhöhe. Jeder wird gesehen und verstanden, und sieht und versteht sich selbst und den Anderen. Man erlaubt sich in dieser Phase der Beziehung eine offene Ehrlichkeit, die vorher nicht möglich war. Dadurch, dass die Abhängigkeit verschwindet, wächst auch wieder die Lust, Dinge zusammen zu erleben. Das Gefühl, Opfer des anderen zu sein, verschwindet.


In der reifen Phase entsteht wirkliche Intimität, wenn ich folgende Definition von Intimität anlege:


"Intimität ist die größtmögliche, angstfreie Nähe zu jemandem unter Anerkennung seiner Andersartigkeit."

Keine Partnerschaft landet irgendwann endgültig zu hundert Prozent in der reifen Beziehung. Partnerschaften sind oft ein Mix aus mehreren Phasen, die gleichzeitig existieren. Aber wie groß die Anteile welcher Phase sind, bestimmt wesentlich die Beziehungsqualität.


Im Folgenden eine kleine Übung dazu.

 

Übung

Es ist eine gute Standortbestimmung für die Beziehung, einen Kreis aufzuzeichnen, und darin Tortenstücke auszuschneiden, die zeigen, wie groß welche der 5 Phasen derzeit in der Beziehung ist. Wenn das beide Partner unabhängig von einander machen, ist das eine gute Basis, um gemeinsam auf das jeweilige Bild von Beziehung zu schauen - und ehrlich zu verorten, wo man gerade steht.


Dieses Erkennen der eigenen inneren und äußeren Realität in der Beziehung kann ein Sprungbrett dafür sein, ins Reden zu finden und ins Zuhören und das gegenseitige Verstehen wieder einzuladen.


------------------


In diesem Beitrag konnte ich nicht im Einzelnen darlegen, wie das Zusammenfinden in der Verhandlungsphase funktioniert. Einfach, weil es einfach die gängige Länge eines Blogtextes sprengt. In meinen Beiträgen zum Thema "Paarbeziehung" und "Beziehung und Konflikt" tauchen viele Bausteine auf, wie ich meine Bedürfnisse auf eine Weise zeigen kann, die mein Partner oder meine Partnerin auch nehmen kann.


Drei weiterführende Beiträge sind zum Beispiel "Wie werde ich in Beziehungen sichtbar?" oder auch "Liebe ist eine Handlung" oder auch "Wie Konflikte eskalieren".

593 Ansichten

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Über Menschsein und Mitgefühl von Albert Einstein

Der Mensch ist ein Teil des Ganzen, das wir Universum nennen, ein in Raum und Zeit begrenzter Teil. Er erfährt sich selbst und andere als abgetrennt von allem anderen - eine Art optische Täuschung des

bottom of page