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Wie Konflikte eskalieren

Konflikte gehören zum Leben. Wir können sie nicht vermeiden. Jeder hat schon mal erlebt, wie schrecklich es ist, wenn sie eskalieren. Wie unbegreiflich es dann ist, dass man sich gar nicht mehr verstehen kann und das Gefühl hat, der andere lebt in einer anderen Welt.


In gewisser Weise stimmt das auch, dass der andere dann in einer anderen Welt lebt. Aber wie kommt es dazu? Was passiert da mit uns im Konflikt?

Wie Konflikte eskalieren I Achtsamkeit Blog

Hat man mal im Kleinen begriffen, wie Konflikte eskalieren, erkennt man das Muster wieder. In den eigenen Konflikten, in gesellschaftlichen Konflikten und in Konflikten, die Staaten miteinander haben.


Der Auslöser ist immer der Gleiche: Angst.


Wenn das Bedürfnis des einen für den anderen bedrohlich ist, kommen wir schnell in eskalierende Konflikte.


Wie Gefühle auf einander treffen


Unsere Gefühle wechseln ständig, je nachdem, mit wem wir in Beziehung gehen. Das ist ganz normal. Einfach, weil wir soziale Wesen sind, die im Kontakt ständig in die Gefühle der anderen kommen. Wenn es uns mit jemandem gut geht, können wir sein Gefühl in uns wahrnehmen, ohne uns bedroht zu fühlen. Das ist tatsächlich eine biologische Funktion. Alle Säugetiere haben diese Fähigkeit. Dann können wir sein Bedürfnis auch anerkennen, wenn es unserem widerspricht.


Diese Fähigkeit brauchen wir, um mitfühlend sein zu können. Um unser Gegenüber wirklich zu verstehen, und auch um herzlich mit ihm verbunden zu sein. In guter Kommunikation schwingen wir uns aufeinander ein. Zwei Menschen, die in guter Resonanz miteinander sind, sind in den gleichen Gefühlen. Ihre Nervensysteme synchronisieren sich.


Wo immer das gelingt, sind wir in angenehmen Gefühlen. In so einer Begegnung sind wir gleichzeitig bei uns und beim anderen. Es entsteht ein Wir-Gefühl.


Was passiert im Konflikt?


Das Gegenteil passiert im Konflikt. Im Konflikt macht mir das, was der andere macht, Angst. Und das löst sofort Anspannung aus. Mit dieser Anspannung endet die Fähigkeit zu Resonanz, Mitgefühl und Herzlichkeit. In der Anspannung wird nicht nur mein Körper eng, ich verenge mich gleichzeitig emotional - oft auf "ein" Gefühl, das sich in mir Raum nimmt, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Wut, Angst, Ohnmacht, ... ein Gefühl macht sich in mir breit. Ich verschwinde sozusagen in diesem Gefühl.


Das Problem ist, dass alle anderen Gefühle, die auch zu mir gehören, mir in dem Moment nicht mehr zugänglich sind. Ich kann sie nicht mehr verkörpern.


Und so kommt es in der Angst und im Konflikt zu einem großen Selbstverlust. Ich verliere mich. Nicht umsonst sagen wir, dass wir wieder zu uns kommen, wenn der Konflikt lang genug vorbei ist. Das steht ganz einfach dafür, dass sich unser Körper entspannt und ich dadurch auch wieder andere Gefühle verkörpern kann.


In der Enge der Verkörperung "eines" Gefühls verliere ich ganz auch die Möglichkeit, die Gefühle meines Gegenübers in mir zu spüren. Diese Fähigkeit wird tatsächlich biologisch unterbrochen, wenn die Angst groß genug ist. Und dadurch wird es mir auch unmöglich, mein Gegenüber wirklich zu verstehen. Ich höre zwar seine Worte, aber ich kann die Bedeutung nicht mehr erfassen. Ich gebe den Worten die Bedeutung durch das Gefühl, in dem ich gerade bin.


An diesem Punkt gibt es kein "Mit-Gefühl", keine Herzlichkeit, keine Verbundenheit mehr. Das Wir verschwindet. Du "oder" ich ist das Grundgefühl, wenn ein Konflikt auf beiden Seiten mit starken Ängsten verbunden ist. Die Vorstellung, was passieren würde, wenn der andere seinen Willen bekommt, ist dann mit dem Gefühl der eigenen Vernichtung verbunden.


Wir kennen das aus eigenen Konflikten, wir sehen das bei Wahlen, wir erleben das bei Corona, bei Kriegen.


Jedes Gefühl hat eine Perspektive


Unsere Gefühle bestimmen, wie wir die Welt empfinden und wie wir sie interpretieren. Jedes Gefühl hat dabei eine eigene Perspektive. Es macht einen Unterschied, ob ich neugierig, ängstlich, wütend oder niedergeschlagen in die Welt blicke. Meine Aufmerksamkeit, mein Fokus geht bei jedem Gefühl woanders hin. Ich achte auf andere Dinge und ich sehe in andere Dinge.


So kann mich der enge Fokus eines Angstgefühls regelrecht gefangen nehmen. Solange mich die Anspannung nicht verläßt, bleibe ich in diesem einen Gefühl gefangen und reagiere auf Situationen gereizt, die ich sonst ganz anders empfinden würde.


Mein Selbst wird sozusagen zum Opfer dieses einen Gefühls.


Wir denken durch unsere Gefühle


Da unsere Gefühle in jeder Situation wesentlich schneller entstehen, als unsere Gedanken, führt das dazu, dass wir nur durch unsere Gefühle denken können. Je größer die Anspannung, umso enger wird also auch unser Denken und umso bedeutender wird in uns die "innere" Realität. In dieser inneren Realität empfinden wir die Welt als feindlich. Wir müssen uns gegen die äußere Realität abgrenzen und verteidigen.


Dazu kommt ein weiterer Effekt, der die Wahrnehmung verzerrt.


State Dependant Memory


Bin ich deprimiert, fallen mir einfach keine freudigen Erinnerungen ein. Habe ich Angst, sehe ich in allem nur die möglichen Gefahren, bin ich wütend, fällt mir nur ein und auf, wer mich aller verletzt und gereizt hat.


Ein Gefühl erinnert sich nur an die Ereignisse in der Vergangenheit, die mit diesem Gefühl zu tun haben. Ich nehme die jetzige Welt aus dieser Perspektive wahr und alles, was ich mir für die Zukunft vorstellen kann, sehe ich auch durch die Augen dieses Gefühls.


Jedes Gefühl sucht dabei nach Beweisen, dass seine Wahrnehmung stimmt. Kann es diese Beweise nicht finden, erfindet unsere Psyche Beweise, damit sie ihre eigene Wahrnehmung nicht infrage stellen muss.


Realitätsverlust


So führt ein eskalierender Konflikt zu Realitätsverlust. Die innere Realität des Gefühls bestimmt die Wahrnehmung. Es existiert am Ende nur noch die innere Realität des Gefühls. Alles andere wird ausgeblendet.


Es entsteht eine Art Paranoia. Wir wissen nicht mehr, wem wir trauen können und suchen nur noch Bestätigung bei denen, die so fühlen wie wir.


Eskalierende Konflikte


So ist unsere Psyche gebaut.


Unser aller Psyche.


Es sind nicht die anderen, die so sind. So sind wir alle.


Wenn wir genug Angst haben, verschwinden wir alle in diesen inneren Realitäten. Wir haben Glück, wenn die Angst nicht so groß wird und wir möglichst schnell wieder zu uns kommen können. Wenn wir möglichst schnell wieder herzlich und mitfühlend sein können.


Dann entsteht aus dem Kampf "ich gegen die Welt" wieder ein "Wir".


Doch manchmal ist die Angst zu groß und hält uns zu lang in ihrem Griff. Dann tauchen wir nicht mehr so schnell auf. Mit allen Konsequenzen, die das hat.


Im Kampf besteht die Welt aus Tätern und Opfern. Dabei ist unsere Psyche so gebaut, dass wir uns selbst schnell als Opfer empfinden. Den anderen können wir dann nur als Täter sehen.


Auch darin sind wir alle gleich. Es ist immer der andere, der spinnt. Es ist immer der andere, der "mir" Gewalt antut.


Was ich meinem Gegenüber antue, dafür bin ich im Konflikt leider sehr schnell blind. "Denn ich verteidige mich doch nur..... "


Dass ich selbst in jedem Konflikt zum Täter werde, das verschwindet sehr schnell aus der eigenen Wahrnehmung.


Auch diese Mechanismen gelten für uns alle.


Täter und Opfer


So kommt es zu ständigen Täter / Opfer Spiralen. Jedes Opfer wird zum Täter. In Familien, Gesellschaften und Staaten gehen diese Spiralen oft über Generationen. Die Spirale der eskalierenden Konflikte dreht sich so immer weiter. Die Mechanismen sind überall die Gleichen. Wenn die Ängste groß genug sind, sterben Herzlichkeit und Mitgefühl. Abgrenzung, Urteil, Vorwurf, Anspruch, Wertung, Hass und Gewalt ersetzen dann das Wir. Wo Angst die Macht hat, führt sie in zerstörerisches und selbstzerstörerisches Verhalten.


9/11, eine Weltwirtschaftskrise, eine Flüchtlingskrise, der islamische Staat, Corona, der Ukrainekrieg. Unsere Welt hat eine ganze Serie von Ereignissen hinter sich, die Urängste ausgelöst haben und die das Leben jedes einzelnen betreffen.


Die damit zusammenhängende Angst hat in den letzten Jahren das Trennende vergrößert. Wie viele Freunde können nicht mehr miteinander reden, weil sie sich über wegen Corona zerstritten haben. Wie viele Menschen, die Krieg erlebt haben, werden durch den Ukraine Krieg retraumatisiert. Wie viele Demokratien haben sich in autoritäre und sich abgrenzende Regime verwandelt. In wie vielen Demokratien stehen sich zwei unversöhnliche 50/50 Blöcke gegenüber. Das sind alles Folgen individueller und kollektiver Angst.


Hinter jeder Diktatur steht eine Angsterfahrung. Es sind immer Opfer, die zurückschlagen und blind dafür sind, wie sie zu Tätern werden. Gewalt in Familien hat den gleichen Ursprung. Opfer, die zu Tätern werden, ohne das sehen zu können.


Es gibt nur einen Weg, der uns befreien kann. Das ist der Weg der Herzlichkeit. Der Weg der Herzlichkeit, uns selbst und anderen gegenüber. Nur auf diesem Weg können wir in Frieden und Einklang kommen. Nur dort können wir uns sicher und geborgen fühlen. Nur dort können wir Freude, Zugehörigkeit, Vertrauen, Sicherheit und Wärme erleben.


Die Macht der Herzlichkeit


Es wäre schön, wenn jeder Mensch von klein an Herzlichkeit erleben würde. Das wäre der einfachste und natürlichste Zugang zur Herzlichkeit. Wenn andere mit mir von Kindheit an herzlich umgehen, verkörpere ich Herzlichkeit ganz natürlich mit meinem ganzen Wesen. Ich kenne dann keinen Selbsthass und behandle auch andere nett.


Aber das passiert leider nur sehr selten. Und daher leben wir alle mehr oder weniger in der Sehnsucht nach Herzlichkeit und finden den Weg nicht so leicht.


Wie schön wäre es, wenn wir alle lernen würden, dass jeder Vorwurf, jedes Urteil und jede Wertung mir selbst oder einem anderen Menschen gegenüber nur auf den Verlust meiner eigenen Herzlichkeit hinweist. Wie schön wäre es, wenn jeder Mensch dann einen klaren Pfad kennenlernen würde, wie er sich mit seiner eigenen Herzlichkeit wieder verbinden kann.


Die Angst hat die Macht, uns von uns selbst und anderen zu trennen. Unser Bewusstsein hat die Macht, zu lernen, wie ich mich mit meinem Herzen verbinden kann, auch wenn mir etwas Angst macht.


Die Achtsamkeit ist eine Lehre, die mit Herzlichkeit verbindet. Und es gibt viele andere Wege, die genauso tief mit Herzlichkeit verbinden. Truth is one, paths are many, sagt ein Zitat von Mahatma Gandhi. Von einem Menschen, der wohl das größte Vorbild darin ist, wie man seine eigene Angst in Herzlichkeit verwandeln kann.


Es ist wichtig, dass wir lernen, wie wir aus der Angst in die Herzlichkeit zurückfinden.


Die Herzlichkeit ist die wahre Macht, die jeder von uns hat, die Welt, in der wir leben, zu einem schöneren Ort zu machen.


Frieden entsteht, wenn wir aufhören zu kämpfen.


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