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Wie gehe ich mit schwierigen Gefühlen um?


In der Achtsamkeit gibt es den Begriff der "schwierigen Gefühle". Einfach gesagt sind das die Gefühle, mit denen wir bei uns selber Schwierigkeiten haben.

Es gibt die guten Gefühle, die wir gerne immer hätten und am liebsten festhalten wollen. Und es gibt die unangenehmen Gefühle, die wir am liebsten nicht fühlen würden - die wir am liebsten gar nicht hätten, wenn wir es uns nur aussuchen könnten. Wer hat schon gern Angst, ist gern neidisch, fühlt sich gern ohnmächtig?

Doch genauso wenig wie wir unsere guten Gefühle immer halten können, können wir so tun, als gäbe es die schwierigen Gefühle nicht - denn sie existieren.

Da der Umgang mit schwierigen Gefühlen aus meiner Sich ein ganz zentraler Punkt ist, erlaube ich mir diesen Eintrag ein bißchen länger zu schreiben.

Die gute Nachricht

Die gute Nachricht ist, daß die sogenannten schwierigen Gefühle eigentlich keine schwierigen Gefühle sind. Sie sind gute und produktive Gefühle, die unsere Lebensqualität erhöhen, wenn wir lernen, sie als solche zu sehen. Doch dafür müssen wir bereit sein mit ihnen in Beziehung zu gehen.

Wie ticken Gefühle?

Alle Gefühle haben eine Eigenschaft - sie sind friedlich und konstruktiv, wenn wir sie achten.

Auf der anderen Seite - wenn wir sie nicht achten - geht es Gefühlen genauso wie Menschen. Da sie dazu gehören und etwas Wichtiges zum Ganzen beitragen, werden sie lauter, wenn man sie nicht wahrnimmt.

Vermeidet man dann weiterhin den Kontakt zu ihnen, schrauben sie ihrerseits das Volumen rauf. Je mehr wir ein Gefühl abspalten wollen, desto deutlicher meldet es sich in uns. Oft wird es zu einem zwanghaften Gefühl, das von uns Besitz ergreifen kann - das mächtiger wird als wir selber.

Zwanghafte Gefühle

Ich hatte einmal eine Voice Dialogue Sitzung mit einem Klienten, der das zwanghafte Gefühlt hatte, daß er seine Frau betrügen wird - obwohl er das eigentlich gar nicht will. Das machte ihm verständlicherweise Angst. Voice Dialogue arbeitet mit Persönlichkeitsanteilen, die man im Raum aufstellt, und sie fragt, was sie wollen.

Also haben wir den Persönlichkeitsanteil aufgestellt, der offensichtlich seine Frau betrügen wollte. Der Anteil hatte nicht viel Achtung vor dem Klienten, denn der Klient hatte noch nie in seine Richtung geschaut. Der Anteil war im Prinzip jemand, der gern die schönen Seiten des Lebens genießt. Und interessanterweise war es ihm gar nicht wichtig Ehebruch zu begehen.

In seinen Augen war der Klient ein Pharisäer, der sich selbst belügt. Der sich einfach nicht eingestehen konnte, daß ihm auch noch andere Frauen als seine eigene Frau gefallen, und der das dann auch gut finden und zulassen kann. Einfach so - weil es sich gut anfühlt. Ohne deswegen was zu tun. Daß der Klient das nicht konnte fand dieser Persönlichkeitsanteil ganz simpel zum Kotzen.

Wenn der Klient diesen Anteil in sich nicht wahrnehmen will, dann muß der Anteil eben so massiv werden, daß der Klient keine Chance mehr kriegt. Dann sorgt er eben dafür, daß er seine Frau betrügt, in der Hoffnung, daß der Klient diesen Anteil in sich irgendwann noch mal als zugehörig erkennt.

Nach einigem Reden wurde klar daß - wenn der Klient diesen Anteil in sich achten und leben kann - nicht der geringste Grund besteht, die eigene Frau zu betrügen.

Der Zwang des Klienten war nach der Voice Dialogue Sitzung weg, und er konnte fortan die Gesellschaft schöner Frauen genießen, ohne jemals wieder in die Versuchung zu kommen seine Frau zu betrügen.

Wie an dem Beispiel gut zu sehen ist, wird der Persönlichkeitsanteil freundlich, und trägt zur Steigerung der Lebensqualität bei, wenn wir ihn achten.

Gefühle, die wir nicht sehen wollen können zwanghaft werden - sie können aber auch offen destruktiv werden, und uns beherrschen.

Destruktive Gefühle

Destruktive Gefühle sind eben auch wieder keine destruktiven Gefühle. Es sind ganz einfach konstruktive Gefühle, die wir nicht als konstruktiv begreifen. Daher ignorieren wir sie, was dazu führt, daß sich die Gefühle scheinbar gegen uns richten. Nicht weil sie etwas gegen uns haben, sondern weil wir etwas gegen sie haben.

Ein Beispiel für ein oft als destruktiv erlebtes Gefühl ist die Angst.

Nehmen wir an, jemand hat keine gute Beziehung zu seiner Angst. Was passiert, wenn sie sich gerechtfertigter Weise meldet? Diese Person wird die Angst ignorieren, weil sie das Gefühl nicht aushält. Statt die Angst zu fühlen und wahrzunehmen was sie sagt, wird sie innerlich damit in Kontakt gehen, wie sie die Angst möglichst schnell los wird.

Ich beschreibe die Dynamik am besten am Beispiel einer fiktiven Geschichte.

Nehmen wir an, ein junger Mann geht mit Sandalen in die Berge. Er kommt ein steileres Stück und das erste Mal meldet sich ein bißchen Angst. Die Angst will ihm an der Stelle einfach nur sagen, daß die Sache gefährlich werden könnte. Vielleicht gibt es einen anderen Weg. Vielleicht kommt jemand vorbei, der bessere Schuhe mit hat, die er ihm leihen könnte. Auf jeden Fall aufpassen.

Wer an der Stelle die Angst nicht wahrhaben will oder sie ignoriert, weil er vielleicht vor jemand Zweitem nicht zugeben will daß er Angst hat, der steigt weiter auf - das Gelände wird steiler und felsiger. Der junge Mann rutscht mit seiner Sandale ab und schürft sich den Knöchel auf. Doch er ignoriert auch das und steigt weiter bergan. Als der Fels glatter wird, meldet sich mehr Angst. Jetzt ist er aber schon so weit oben. Also die Angst beiseite schieben und weiter. Bis er an einer Stelle steht, an der er mit seinen Schuhen weder gut vor, noch zurück kann. Jetzt kommt auf einmal die Panikattacke. Der junge Mann findet es unerträglich, daß ihn die Angst im Griff hat. Gerade jetzt, wo er doch ruhig bleiben sollte, damit er mit der Situation besser zurechtkommt.

Er verflucht die Panikattacke und sieht sich als ihr Opfer. Doch hätte er von Anfang an darauf gehört, was ihm die Angst sagt, wäre er so nicht in die Situation gekommen. Jetzt hat ihn die Angst im Griff, weil sie sozusagen die Notbremse gezogen hat.

Angst - wie jedes andere Gefühl auch hat immer eine Berechtigung. Das Beispiel mit den Sandalen am Berg ist vielleicht ein bißchen plump gewählt und verkürzt, aber es beschreibt gut die Dynamik, die Gefühle kriegen, wenn wir sie ignorieren.

Von der Angst sagt man gern, daß sie uns im Nacken sitzt. Das tut sie auch tatsächlich, wenn wir uns nie umdrehen und sie anschauen. Wir versuchen ihr immer zu entkommen. Doch je mehr wir das versuchen, desto größer muß sie sich machen.

Die Angst wird dann so ein Gefühl, von dem wir uns verfolgt fühlen. Wir beginnen dann vor der Angst selber Angst zu bekommen - vermeiden Situationen, in denen wir schon mal Angst hatten. So wird unser Leben immer enger.

Was das Beispiel mit dem Berg sehr schön zeigt ist, daß die Angst einen konstruktiven Kern hat. Wenn wir den anerkennen und nicht einfach über eine Grenze hinweg gehen, auf die uns die Angst aufmerksam macht, wird das Gefühl nie destruktiv werden.

Zu seinen schwierigen Gefühlen stehen

Ich dachte lange Jahre, daß ich es nicht zugeben darf, wenn ich in bestimmten sozialen Situationen Angst habe. In meinem Leben als Regisseur dachte ich, daß es wichtig ist keine Angst zu zeigen, damit die Angst nicht auf jemanden im Team überspringt. Angst in der Situation zu zeigen hätte ich als Schwäche empfunden. Also habe ich sie weggedrückt.

Später, als ich mit dem Gefühl der Angst ein anderes Verhältnis hatte, da konnte ich mich vor einem Dreh mit dem Team hinsetzen und dabei aussprechen, daß ich Angst habe, daß sich das Programm an dem Drehtag in der begrenzten Zeit nicht ausgeht. Sobald ich diese Angst mit"geteilt" hatte, war die "berechtigte" Angst auf alle Schultern verteilt, und jeder wußte, daß wir aufpassen müssen, wenn wir den Tag schaffen wollen. Und jeder hatte die Möglichkeit wach zu sein und gute Lösungen vorzuschlagen, um in der Zeit fertig zu werden.

Damit hatte ich die Angst nicht mehr nur auf meinen eigenen Schultern.

Wenn man zu seiner Angst oder jedem anderen beliebigen Gefühl ohne Scham stehen kann und es ausspricht, dann ist das nie eine Schwäche, sondern eine Stärke. Wenn man zu seinen sogenannten schwierigen Gefühlen steht, weil man sie als konstruktiv begreift, ist man in Verbindung mit der eigenen Wirklichkeit, und kommt damit auch in Verbindung mit den Leuten, mit denen man zu tun hat. Wenn das Gefühl "mitgeteilt" ist, kann man sich wieder auf die Aufgabe konzentrieren.

Wenn ich aber in der gleichen Situation meine Angst für mich behalte, bin ich den ganzen Tag mehr in Kontakt mit meiner Angst nicht rechtzeitig fertig zu werden, als mit der Arbeit auf die ich mich ja schließlich konzentrieren sollte. Das Ergebnis ist klar. Die Angst wird größer und in der Arbeit fehlt die Ruhe für den Blick aufs Wesentliche.

Die Wirklichkeit von Gefühlen

Wenn ein Gefühl da ist, dann ist das Gefühl eine innere Wirklichkeit, die ich am besten annehme wie sie ist. Denn es gibt keinen Weg um sie herum. Wenn ich versuche das Gefühl zu ignorieren, wird es stärker - und wenn ich versuche es zu verstecken, wird es mich boykottieren.

Es gibt in der Achtsamkeit immer nur eine Lösung - die der Integration - der Annahme dessen was ist. Jeder andere Weg mit dem wir versuchen uns darum herum zu schummeln, wird nicht funktionieren.

Es gibt also nur einen konstruktiven Weg mit schwierigen Gefühlen umzugehen. Auf sie zuzugehen und sie willkommen heißen. Dabei hilft es immer davon auszugehen, daß auch ein uns unangenehmes Gefühl etwas Gutes für uns im Sinn hat.

Sich mit diesem Blick auf schwierige Gefühle anzufreunden ist keine leichte Übung und man braucht Zeit und Erfahrungen, die einem Vertrauen geben um diesem Blick nach und nach zustimmen zu können. Das Vertrauen entsteht, wenn wir lernen wie sich scheinbar destruktive Gefühle in konstruktive Gefühle verwandeln. Wenn wir sie mit Achtung als zugehörig erkennen.


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