Mit einem Freund zusammen und alleine gehe ich seit einigen Jahren immer wieder weite Strecken zu Fuß.
Zwischen 30 und 50 Kilometer am Tag.
Und das - ohne das Besondere zu suchen. Mein Freund hat die Angewohnheit, sich zwar ein Ziel zu suchen, aber zwischen dem Ziel dem jetzigen Standort keinen "besonderen", "schönen", "großartigen", oder empfohlenen Weg zu suchen.
Es geht ihm einfach ums Gehen. Und ich habe über die Jahre ein bisschen davon lernen dürfen.
Wenn man den Weg nicht kennt und die Sehenswürdigkeiten am Weg nicht schon alle in Büchern gesehen hat, ist der Weg nicht durch Erwartungshaltungen geprägt - das Gehen wird nicht zur Überbrückung von einer Sehenswürdigkeit zur Anderen. Das Gehen wird zum Gehen um des Gehens willen.
Dabei sind die größten Entdeckungen immer die des Zufalls. Die - die man findet, ohne sie gesucht zu haben.
Wann immer es geht, gehen wir mitten in Wien los - von der Haustür weg. Nicht mit der U-Bahn an den Stadtrand. Und schon das ist in sich eine Entdeckungsreise. Denn wer, der seit Jahren in Wien wohnt, ist schon mal in alle möglichen Richtungen aus der Stadt rausgegangen, und hat die Stadt so gesehen. Um 4h00 früh am Zentralfriedhof vorbei über Schwechat in den Süden.
Was passiert beim Gehen?
Gehen ist eine so Beschäftigung, die es nicht erlaubt, dass man nebenbei noch etwas anderes macht. Man liest nicht beim Gehen, schaut nicht ins Internet, arbeitet nichts, spielt keine Handy Spiele. Man ist einfach mit sich - und dem Körper - beim Gehen - ohne Ablenkung. Und der monotone Rhythmus des Gehens schafft eine eigene Gleichförmigkeit über den Tag.
Interessant ist es auch alleine zu gehen. Denn es passiert das, was ich aus dem Meditieren kenne - ganz automatisch - ohne dass ich dazu etwas tun muß. Wenn ich den ersten Tag alleine gehe, hören meine Gedanken nicht auf. Ein konstanter Schwall an Dingen, an denen ich herumdenke taucht in meinem Hirn auf - meist ohne auf ein brauchbares Ergebnis zu stoßen.
Doch dann passiert etwas Magisches. Irgendwann im Laufe des zweiten Tags gehe ich - und merke, dass ich nicht denke. Das ist seltsam, denn es fühlt sich erst mal komisch an, wenn etwas fehlt, was immer da ist. Etwas in mir fängt dann an, denken zu wollen. Irgendwie in dem Gefühl - da muss doch was zu denken sein. Aber die Gedanken verlieren sich.
Was bleibt ist, die Wahrnehmung des Augenblicks wie er ist. Das, was ich über meine Sinne aufnehme. Das Gefühl des Bodens unter meinen Füßen, was meine Augen sehen, was meine Ohren hören - und die Körpergefühle, die ich habe.
Dabei gibt es auch eine interessante Parallele zur Meditation in der Achtsamkeit. Zum Halten von etwas, was im Moment nicht angenehm ist. Immer wieder beginnt der Körper irgendwo zu schmerzen. An den Schultern, bei den Beinen, den Füßen, dem Rücken. Und oft ist es so, dass es sich anfühlt, als könne ich bald nicht mehr weiter gehen. Ich habe dann immer den gleichen Gedanken. Ich gehe erst dann nicht mehr weiter, wenn ich nicht mehr weiter gehen kann. Bis dahin gehe ich. Ich halte es aus, wie es ist, und nehme auch den Schmerz wie er ist. Er gehört irgendwie dazu.
Das Interessante ist, dass sich die Schmerzen, wenn sie kommen, nach ein paar Kilometern einfach wieder verziehen. Und der Körperteil fühlt sich an, als hätte er nie Schmerz empfunden. Und das fühlt sich so an, als hätte sich was im Körper geheilt, als hätte sich etwas eingerenkt, als wäre etwas wieder dort hingeschoben worden, wo es hingehört.
So macht man auch die Erfahrung, dass man - wenn man mehrere Tage geht, immer leichter geht, und der Körper immer klarer in der Rhythmus dessen findet, was er zu tun hat.
Geduld
Das Weitwandern ist ein interessanter naher Verwandter der Gehmeditation in der Achtsamkeit. Interessant ist, dass ich beim Weitwandern etwas aushalten - etwas halten kann, was ich im Normalfall nicht halte. Ich gehe weiter, auch wenn ich Schmerzen habe. Das mache ich in der Stadt nicht. Da steige ich auf die U-Bahn um. In der Natur kann ich das nicht machen. Da bin ich auf mich und mein Gehen gestellt. Ich weiß, dass mein Ziel ist, vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang zu gehen. Und das über Tage.
Dadurch, dass das Ziel so weit gesteckt ist, wächst die Geduld für das was sich am Weg nicht so gut anfühlt. Ich halte es aus, sage Ja, nehme es mit, und es wandelt sich.
Das ist für mich eine schöne Parallele zum Halten von Gefühlen, Körpergefühlen und Gedanken in der Meditation. Es ist nicht das Ziel von Meditation im Augenblick eine tolle Erfahrung zu machen. Es ist das Zeil von Meditation zu üben über möglichst lange Zeit mit dem Augenblick verbunden zu sein. In der Übung zu bleiben. Es gibt kein Nahziel in der Meditation - kein Gehen von A nach B - und bei B bin ich am Ziel.
Es gibt nur eine Gehen - ein Üben, das sich auf ein Ziel ausrichtet, das nie ganz zu erreichen ist. Wenn wir das annehmen, können wir kurzfristige Unannehmlichkeiten in der Meditation gut ertragen.
Übung
Die Übung besteht heute darin, eine solche Weitwanderung einmal zu probieren.
Lass dabei alle inneren Bilder los, was du dir zutraust, und was du glaubst, wie es sich anfühlt.
Gehe im Sonnenaufgang los und gehe bis zum Sonnenuntergang. In deinem Tempo - und im Rahmen deiner Möglichkeiten.
Ohne übertriebenen Ehrgeiz. Nur mit dem Ziel sich einer Erfahrung auszusetzen, die man so meist noch nicht gemacht hat.
Es ist gut, die Erfahrung des Gehens zu machen, und sich dabei selbst zu spüren.