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Nähe und Distanz in Beziehungen

Nähe und Distanz in Beziehungen ist ein schwierigeres Thema. Insbesondere in Familie und in Paarbeziehung - dort, wo man sich wirklich nah ist.

Nähe und Distanz in Beziehungen I Achtsamkeit Blog

Angenehme Nähe entsteht in Beziehungen, in denen wir uns völlig entspannen können. Weil wir angenommen werden, wie wir sind und nichts in uns mit dem Gegenüber in Konflikt ist.


Zwei Arten von Nähe


Aus meiner Sicht gibt es zwei verschiedene Arten von Nähe. Auf der einen Seite das Gefühl einem anderen Menschen nahe zu sein, den man gut kennt. Einen Freund, eine Freundin.

Egal wann wir sie sehen - wir müssen lächeln, fühlen uns wohl, verstehen uns und kommen gut miteinander aus. Das bleibt so, auch wenn man sich vielleicht Monate oder Jahre nicht sieht. Man ist sich sofort wieder nahe.

In diesen Beziehungen gibt es Nähe und Distanz in einem. Diese Nähe muss sich - wenn man so will - nie ganz beweisen. Die Beziehung wird in der sporadischen Begegnung und dem teilweise Fremdbleiben aufrecht erhalten, und ist so etwas wie eine ewig dauernde Liebe, die nie in Gefahr ist. Denn jeder hat genug Raum für Rückzug. Dadurch, dass man nicht täglich alles teilt, muss man sich auch nie ganz zeigen.

Auf der anderen Seite steht die tatsächliche täglich gelebte Nähe - Zusammenleben in einer Wohnung, in Paarbeziehung und Familie.


Der andere ist dann Teil meines ganzen Tages, meines ganzen Lebens, meines Intimbereichs. Ich kann mir nicht aussuchen, wann er da ist und wann nicht. Dieser Mensch kann mir jederzeit nahe sein und mich jederzeit sehen. So, wie ich gerade bin.

In der Nähe mit Distanz kann ich entscheiden, was ich zeigen möchte und was nicht.

In der nahen Nähe teile ich mich wirklich mit dem Anderen - und das kann viel Angst machen.


Mich zeigen, wie ich bin


In jedem Konflikt in der Partnerschaft und Familie stehe ich letztlich vor der Entscheidung, ob ich den Konflikt mit dem Gegenüber riskiere und mir dabei selbst treu bleibe, oder ob ich dem Konflikt ausweiche, um ein Gefühl äußerer Harmonie zu erhalten. Bei Letzterem komme ich allerdings schnell in Konflikt mit mir selbst.


Wo Konfliktlösung nicht gelingt, kommen wir schnell in ein entweder - oder. Einer gewinnt, einer verliert. Wir machen es so wie ich will, oder wie du willst. Doch dieses Bild von Konfliktlösung hat einen hohen Preis. Wenn einer gewinnt und der andere verliert, geht immer Nähe verloren. Letztlich verlieren beide.


Die Achtsamkeit hat ein anderes Bild von Konfliktlösung. Dieses Bild beruht auf tatsächlicher Augenhöhe im Konflikt, in dem beide Bedürfnisse und Perspektiven gleich viel Gewicht haben. Dieses Gleichgewicht entsteht, wenn Vertrauen und Selbstvertrauen, Achtung vor dem anderen und Selbstachtung im Ausgleich sind.

Zu meinen Bedürfnissen stehen können

Oft habe ich in meiner Kindheit gelernt, wenn ich mich wirklich so zeige wie ich bin, werde ich abgewertet, kritisiert, nicht ernst genommen, ignoriert oder der andere reagiert verstimmt, beleidigt oder aggressiv.


Dann tauchen in mir unwillkürlich ganz viele Warnschilder auf: „Nein, nichts sagen! Mich nicht zeigen! Gefahr!"

Aus dieser Angst, nicht gesehen zu werden, sage ich dann entweder nichts und ziehe mich in mein Schneckenhaus zurück oder gehe im Konflikt in den Angriff oder Vorwurf.


Weil das beschriebene Gleichgewicht von Achtung und Selbstachtung sich nicht so einfach herstellen lässt, schlage ich diese Woche eine Übung vor, die ein wichtiger erster Schritt in eine gute Art der Konfliktlösung sein kann.


Diese Übung beginnt im Konflikt mit dem Zuhören. Gelingt das Zuhören, ist der schwierige Schritt, mich selbst zu zeigen, oft viel einfacher. Gelingt die Übung, kann ich mich über sie Schritt für Schritt wieder in Vertrauen und Nähe vorarbeiten.

Übung


Wenn du mit jemandem in einer Sache im Konflikt bist, mit dem du wirklich nahe zusammenlebst, dann sei neugierig, wie es dem anderen mit der Sache geht.


Frage mit Neugier nach - in dem ernsten Interesse den anderen verstehen zu wollen und mitfühlen zu können. Nehme dir dafür wirklich Zeit und höre wirklich nur zu. Stelle Fragen, wenn du etwas nicht verstehst. Versuche, dich in dein Gegenüber einzufühlen. Auch wenn es anfangs schwer fällt.


Lasse während der Zeit jeden Vorwurf und jede Abwertung beiseite, auch wenn er innerlich entsteht. Wenn du merkst, dass das, was der andere sagt, in dir heftige Gefühle hervorruft, dann bemerke sie achtsam, unterbreche aber dein Gegenüber deswegen nicht.


Wenn das gelingt, wird es in der Regel mit der Zeit einfacher zuzuhören und wirklich beim anderen zu sein.


Dein Gegenüber verstehen wollen heißt nicht, dass du damit deinen eigenen Standpunkt aufgibst. Es heißt auch nicht, dass du die Perspektive deines Gegenübers teilen musst.


Es geht wirklich ums Verstehen. Das Verstehen, wie die Welt aus der Sicht des anderen aussieht, wie sie entstanden ist und wie sie sich anfühlt.


Verstehen heißt auch nicht "Okay, ich habe dich verstanden, dann machen wir es so wie du willst."


Es heißt ganz einfach nur, dem anderen den Raum zu geben sich zu zeigen, ohne dass er Angst vor Urteil, Wertung, Ablehnung, Vorwurf, etc. haben muss. Denn das ist das, was du selbst letztlich auch in Beziehung suchst.


Im Zuhören verkörperst du also das, was du selbst gern bekommen würdest. So gehst du in Beziehung.


Wenn du neugierig bist, was jemand anderen antreibt, was ihn motiviert, wie es sich in seinen Schuhen anfühlt, dann wird dein Gegenüber interessanterweise neugierig zu wissen, wie es dir geht, wie du die Dinge erlebst, was dir wichtig ist und warum.


Und so dürfen die zwei Sichtweisen, Bedürfnisse, Gefühle,.... einfach mal da sein. Nebeneinander stehen. Von beiden gesehen und gefühlt werden. Im neugierigen Zuhören entsteht ein Raum, in dem sich jeder zeigen kann. Und genau das ist Beziehung.


Man bezieht sich einfach mal aufeinander - ohne dabei noch etwas tun zu müssen.


Es wirkt sehr verbindend und berührend, den anderen in der Tiefe zu verstehen. Gelingt das, ist das auch die Basis dafür, dass man zusammen eine Lösung sucht, die die Bedürfnisse beider befriedigt. Dafür ergeben sich aus gegenseitigem Verständnis auf einmal viele verschiedene Möglichkeiten.


Das ist die Fülle, die entsteht, wenn in Beziehung jeder gesehen werden darf.


Und so entsteht Nähe, die sich gut anfühlt.






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