"Mir wird alles zu viel.......", dieses Gefühl ist heute weit verbreitet.
Alle Prozesse in unserem Leben haben sich in den letzten 20 Jahren noch mal beschleunigt. Email und Smartphones haben die Kommunikation unglaublich beschleunigt. Gleichzeitig sehen wir uns nicht mehr und haben so weniger Gefühl für einander. Email und Smartphone schaffen eine ständige Verfügbarkeit. Wir finden nicht mehr so leicht einen geschützten Raum, der nur uns gehört - in dem wir für niemanden erreichbar sind.
Dazu kommt die ständige Verfügbarkeit von einer unüberschaubare Vielfalt an Information und Angeboten im Internet, die einen erschlagen können. Es bleibt manchmal das Gefühl - egal, wie aufnahmefähig ich bin, es gibt noch tausende andere Dinge, die ich gerade nicht mitbekomme und die auch interessant werden. Und tausende Produkte, die ich vielleicht auch konsumieren könnte. Ein Rückstau an Büchern, Artikeln, Filmen entsteht.
Überforderung entsteht
Das gefühlt Unerledigte wächst bedrohlich. Dazu kommt noch ein voller Arbeitstag, private Erledigungen, Zeit für Familie, Zeit für Freunde und irgendwann...... vielleicht...... Zeit für mich, die ich eigentlich geistig und körperlich lebendig erleben möchte.
Wir gehen heute schneller als vor 40 Jahren und sind ständig in Eile. Trotz der ganzen Technologie, die uns immer verspricht, daß wir Zeit sparen können. Doch je mehr Zeit wir sparen, desto weniger scheint übrig zu bleiben.
Wir konsumieren andauernd, essen mehr und mehr in einer Kultur, die sich von regelmäßigen Mahlzeiten weg entwickelt hat - hin zu einer Snackkultur, in der wir ständig Nahrung und Genussmittel aufnehmen.
Gleichzeitig schlafen wir heute weniger als es unser Organismus braucht und merken es nicht mehr, da wir nicht aufstehen, wenn wir ausgeschlafen sind, sondern wenn der Wecker klingelt.
Unser Körper und unser Geist sind wie aufgezogen in dem Vielen und der Illusion, wir könnten das alles aufnehmen und tatsächlich verarbeiten und alles erledigen..... und dann, wenn alles erledigt ist, können wir entspannen und zu uns kommen.
Doch auf diesem Weg rückt sie Entspannung immer mehr hinter den erreichbaren Horizont.
Es geht sich alles zusammen einfach nicht mehr aus. Oft frisst schon die Arbeit und die einfache Organisation des Lebens so viel Zeit, daß kaum noch etwas übrig bleibt.
Es gibt eine natürliche Grenze
Computer werden immer schneller und können in kürzerer Zeit mehr verarbeiten. Aber der Mensch und seine Verarbeitungssysteme für geistige und körperliche Nahrung kann sich nicht endlos beschleunigen. Unser Körper und unsere Psyche brauchen einfach Zeit, um die Dinge, die wir erleben und aufnehmen, auch zu verarbeiten.
Unsere Körper können heute Nahrung nicht schneller verarbeiten als vor hundert Jahren, unsere Psyche kann Erlebnisse nicht schneller verarbeiten und wir können nicht schneller lernen als vor hundert Jahren.
Was passiert in der Psyche, wenn wir überfordert sind?
Bei Überforderung schützt sich die Psyche
Wenn wir zu viel Essen, fühlen wir uns unwohl. Es wird uns übel. Wenn wir dann weiter essen, erbrechen wir im schlimmsten Fall. Das sind Wege unseres Körpers sich davor zu schützen, daß mehr eingefüllt wird, als er verarbeiten kann.
Die Psyche hat ähnliche Mechanismen, einen Aufnahmestopp zu machen. Jeder kennt es, wenn er gerade in einem Gespräch ist, aber gar nicht präsent. Mein Blick wird abwesend, ich bekomme gerade nicht mit, worum es im jetzigen Augenblick geht. Denn meine Psyche ist damit beschäftigt, Dinge zu verarbeiten und zu sortieren, die sie beschäftigen.
Die Psyche kann jetzt gerade nichts mehr aufnehmen. Sie schützt sich vor mehr Input, indem sie die Außenwelt ausblendet. Sie widmet sich innerlich der Verarbeitung von emotionalen, meist belastenden Ereignissen aus der Vergangenheit oder der Planung wichtiger angst machender Ereignisse in der Zukunft .
Angst bindet Aufmerksamkeit
Alles was uns belastet und Angst macht, beschäftigt das Unbewusste stärker als die Dinge, die wir gerne machen. Alles, wo wir in Konflikt mit uns selbst und anderen sind, wirkt in unserer Psyche wie eine Vierkäsepizza mit einer Esterhazyschnitte und einem Milchkaffee als Nachtisch. Unser psychisches System braucht dafür Unmengen an Energie und Fokus. Gleichzeitig sorgt sie dafür, daß jetzt nicht noch etwas Neues von außen dazu kommt.
In der Achtsamkeit geht es darum in die Präsenz zu finden - den Augenblick, in dem ich gerade bin, bewusst wahrzunehmen und mit allen Sinnen anwesend zu sein. Der simple Zusammenhang ist - je mehr Angst ich vor Dingen habe, desto weniger Präsenz habe ich. Denn die Angst hält mein ganzes psychisches System beschäftigt.
Da ich in diesem überforderten Modus nicht mehr aufnahmefähig für Neues bin, kann ich nur mehr eingeschränkt oder gar nicht lernen und fühle mich von allen Dingen, die dann noch auf mich zukommen, überfordert.
Zudem werde ich auch bei meinen Tätigkeiten unaufmerksam. Beim Arbeiten passieren leicht Fehler, im Verkehr bin ich nicht ganz beim Geschehen. Dadurch steigt die Unfallwahrscheinlichkeit. Beim Kochen schneide ich mir leichter in den Finger, beim Einkauf vergesse ich die Hälfte. Ich bin einfach nicht richtig da.
Durch das Ausblenden meiner Umgebung schalte ich also einen Gang zurück. Dieser Vorgang entspricht der Übelkeit beim Essen. Genügt das Ausblenden nicht, braucht die Psyche stärkeren Schutz.
Schutz durch Konfliktgefühle
Genügt der Schutz durch den Ausstieg aus der Präsenz nicht, werden in der zweiten Stufe Gefühle aktiviert, die ganz aktiv mehr Input abwehren.
Durch Aggression oder durch stärkeren Rückzug und dem Vermeiden von Begegnungen, schottet sich die Psyche ab. Aggression stößt den anderen weg und der Rückzug in die Depression versperrt alle Zugänge zu mir.
Solange die Psyche, die Dinge, die ihr Angst machen, noch nicht gut verarbeitet hat, reagiert sie unwillkürlich auf diese Weise.
Konflikt mit anderen - ein Teufelskreis
Auf der einen Seite ist es gut, daß mich die Psyche vor Überforderung schützt. Auf der anderen Seite bringt mich dieser Schutz oft in Konflikt mit anderen. Und diese Konflikte wiederum erzeugen zusätzlich Angst.
In diesen Abwehr- und Konfliktgefühlen verliere ich Empathie, Mitgefühl und Beziehung. In mir entstehen sofort Urteil und Wertung gegenüber anderen. Dadurch schneide ich mich leider oft von den menschlichen Ressourcen um mich herum ab, die mir vielleicht gerade gut tun würden.
So entsteht in der Aggression und im Rückzug eine Spirale, die mich immer tiefer in Überforderung, Stress und Angst hinein reißt. Je tiefer ich in dieser Spirale bin, desto schwerer komme ich da wieder raus .
Wie kann ich da raus kommen?
Aus dieser ohnmächtigen Position kann ich nur raus kommen, indem ich sozusagen weniger esse. Also indem ich möglichst schnell aktiv die Dinge in meinem Leben reduziere, die mir Angst machen und die Dinge in mein Leben einlade, die mir gut tun. Indem ich also lerne gut auf mich zu schauen. Stück für Stück.
Dabei kommen nicht alle Stressoren von außen. Auch die Art und Weise, wie ich mir selbst begegne und wie ich mit mir selbst spreche und umgehe, kann massiv überfordernd sein.
Durch Achtsamkeit, Selbstmitgefühl und durch Reduktion von Situationen, die mich überfordern, kann ich anfangen, wieder gut mit mir und anderen umzugehen. Solange ich in Angst und Abwehrgefühlen lebe, komme ich aus der oben beschriebenen Spirale nicht heraus.
Eine regelmäßige Praxis der Achtsamkeit ist ein guter Schutz davor, aus dieser Spirale auszusteigen. Die Achtsamkeit lehrt nicht nur, wie ich gut zu mir komme, sondern bietet auch eine ganze Lebenshaltung, durch die ich in die Präsenz zurückfinde und wieder gut mit mir und anderen in Beziehung komme.
Wenn ich wieder in die Präsenz und in den Einklang zurückfinde, kann ich wieder gelassen neue Begegnung und neuen Input zulassen.
Übung
Wenn du auf dein Leben schaust, mache dir ein Bild davon, wie es dir mit dem Thema "zu viel" und dem Thema "Überforderung und Angst" geht. Achte darauf, wie oft dich diese Themen Präsenz in Situationen kosten, in denen du gerne anwesend wärest.
Achte darauf, wie sehr du in Konflikt und Abwehrgefühlen steckst und in welchem Maß diese Gefühle dich Beziehung kosten, die du dringend als menschliche Nahrung brauchst.
Gelingen Beziehungen nicht mehr, fehlt uns die wichtigste emotionale Nahrung, die wir als Menschen haben: andere Menschen, mit denen wir unser Leben herzlich teilen können und die uns verstehen.
Achtsamkeitskurse, insbesondere des MBSR Kurs, führen ganz aktiv in regenerative Prozesse, in Entschleunigung, Entspannung und in Beziehung. In diesen Kursen lerne ich mit mir selbst und anderen in einer anderen Haltung in Beziehung zu gehen.
Letztlich bestimmt die Art, wie wir mit uns selbst umgehen die Qualität unserer Beziehungen. Es ist es wichtig zu lernen, gut auf sich zu schauen - damit wir im "zu viel" nicht untergehen und uns darin verlieren.
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