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Lob und Tadel führen in abhängige Beziehungen

Es ist ein ganz grundlegender Wert der Achtsamkeit, das "Selbst"vertrauen zu stärken. Das Vertrauen in sich selbst und die eigene Wahrnehmung. Daher gibt es auch in der Achtsamkeit kein richtig und kein falsch, sondern nur ein - "das ist für mich richtig oder für mich falsch".

Lob und Tadel führt in abhängige Beziehungen I Achtsamkeit Blog

Es braucht oft sehr lange, bis ich wieder dem traue, was "mein Gefühl" ist und bis ich mich traue, diesem Gefühl auch mit gutem Gewissen zu folgen. Woran liegt das?


Wertung und Urteil von außen


Wir wachsen in der Familie, im Kindergarten, in der Schule mit so vielen Wertungen und Urteilen auf, die uns sagen, was richtig und falsch ist, dass wir immer wieder gezwungen sind, unsere eigenen Impulse, unsere Gefühle und unsere eigene Wahrnehmung infrage zu stellen, weil uns etwas anderes als richtig oder gut präsentiert wird.


Als Kind habe ich keine Wahl - ich bin abhängig von der Zugehörigkeit zu meiner Familie. Ohne sie kann ich nicht überleben. Daher muss ich in solchen Situationen meine Authentizität zugunsten meiner Zugehörigkeit aufgeben. So formt sich Persönlichkeit. Ich lerne also - nur, wenn ich mich so verhalte, wie es die anderen wollen, mögen sie mich und dann bin ich sicher und kann mich geborgen fühlen.


Dabei kommt es leider zu einer Trennung vom eigenen Ich. Ich merke, dass ich nicht um meiner Selbst willen geliebt werde, sondern wenn ich so bin, wie mich die anderen haben wollen. Dabei geht meine Selbstidentifikation weg von dem, wer ich bin, hin zu dem, was ich machen muss, um zu gefallen.


Und es entsteht ein Bild - so wie ich wirklich fühle, bin ich falsch. So wie ich wirklich bin, darf ich nicht dazu gehören.


Was ich selber will, das kann ich dann nur noch mit schlechtem Gewissen und heimlich erleben. Und dabei bin ich immer wieder in Konflikt mit mir selbst. Ich übernehme das Urteil meiner Bezugspersonen mir selbst gegenüber und halte mich für einen schlechten Menschen, wenn ich meinen eigenen Impulsen, Gefühlen und Bedürfnissen folge. So kann ich auf die Idee kommen, ein Egoist zu sein, nur weil ich überhaupt eigene Bedürfnisse habe. Dann ordne ich meine Bedürfnisse immer wieder den Bedürfnissen anderer unter.


Wie und wer ich bin, ist dann mit einem Gefühl von Scham verbunden. Was mir wichtig ist, verliert vor mir selbst an Wert, weil ich nicht mehr den Mut finde, in Beziehung mit anderen zu mir zu stehen.


Der Verlust meines Selbst


So entstehen aus Lob und Tadel, aus Urteil und Wertung abhängige Beziehungen. Ich verorte meinen Selbstwert dann immer im Außen. Das heißt, ich suche dann auch später im Leben jemanden, der mir sagt, ob das, was ich mache, gut oder schlecht, richtig oder falsch ist.


Werde ich gelobt, steigt mein Selbstwert, werde ich kritisiert, geht der Selbstwert in den Keller. Ich nehme also jede Kritik an dem, wie ich handle, persönlich. Jede Kritik an meinem Handeln wird so eine direkte Kritik an meiner Person.


So gebe ich anderen die Macht, darüber zu entscheiden, wer ich bin und werde abhängig vom Urteil anderer.


Oft führt das auch dazu, dass ich für andere sehr gut etwas machen kann, versuche ich aber aus eigenem Antrieb etwas zu machen, stoße ich auf eine Leere. Ich bin nicht mehr mit meinem eigenen Wollen verbunden. Es fehlt mir dann das Urteil von außen, um mich zu orientieren.


So verliere ich die Fähigkeit, mich selbst zu spüren und aus mir selbst heraus authentisch zu leben. Ich bekomme Angst vor meiner Authentizität, denn sie ist mit der Fantasie verbunden, "wenn ich so bin, wie ich bin, will niemand etwas mit mir zu tun haben."


Der Verrat des Selbst


In Beziehung versuche ich dann aus der Stimmung des anderen zu erraten, was er oder sie gerade für gut oder schlecht hält, und das versuche ich dann zu erfüllen.


Leider führt genau dieser Fokus tiefer in den Selbstverrat. Denn wenn ich meine Bedürfnisse nicht fühle und zeige, werde ich in der Beziehung für den anderen unsichtbar.


Ich fühle mich dann von meinen Kollegen, meinen Freunden, meinem Partner nicht mehr gesehen, "obwohl" ich doch alles machen, was sie wollen. Dass ich mich in Beziehung nicht mehr zeige, wird zum toten Winkel meiner Wahrnehmung.


Wie finde ich da wieder raus?


Der Weg der Achtsamkeit ist, zu lernen in jeder Konfliktsituation zu meinem Selbst zurückzufinden. Mich wieder anzubinden an mein Gefühl, an meine Lust oder Unlust und wieder zu spüren, was meine Grenze verletzt.


Dass meine Gefühle, Bedürfnisse und Ängste wieder in die Aufmerksamkeit kommen, ist der erste Schritt, um sie dann im zweiten Schritt auch mit gutem Gewissen in Beziehung einzubringen, mich wieder zu zeigen und mich so wieder sichtbar zu machen.


In der Haltung der Achtsamkeit gebe ich Urteil und Wertung mir selbst und meinen Gefühlen gegenüber auf. Ich lerne, dass alles in mir in diesem Moment so sein darf, wie es ist. Mein Atem, mein Körper, meine Körpergefühle, Gefühle und Gedanken. Ich lerne, mich so sein zu lassen, wie ich bin.


Und vor allem lerne ich, wie sich das anfühlt. Ich lerne, wie entspannend es ist, in diese Selbstannahme zu gehen und mich mit meiner eigenen Wahrnehmung zu versöhnen.


Stück für Stück führt das in eine Haltung, in der mir bewusst wird, dass meine Bedürfnisse nicht weniger wichtig sind, als die meines Gegenübers und auch nicht wichtiger. Und dass ich sie leben kann, wenn ich sie in Beziehung einbringen kann. Auch, wenn mein Gegenüber gerade andere Bedürfnisse hat.


Auf diesem Weg komme ich in Beziehung zu mir und es entsteht wieder wirkliche Begegnung mit anderen.


Dieser ganze Prozess ist ein langer Weg. Und da man lange Wege Schritt für Schritt geht, diese Woche eine Übung, die einen ersten Schritt darstellen kann.

 

Übung:


Egal welches Gefühl in mir auftaucht, es passiert etwas Interessantes, wenn ich mir erlaube, dieses Gefühl zu haben. Wenn ich mir sagen kann, ich darf dieses Gefühl jetzt haben. Das darf jetzt da sein. Dieser Satz beendet den Konflikt mit der unmittelbaren Erfahrung, in der ich bin und führt mich zu mir selbst.


Von da weg kann ich neugierig meine Erfahrung erforschen und mir neugierig Fragen stellen.


"Was fühlst du? Was möchtest du? Was sind gerade deine Bedürfnisse? Was macht dich gerade traurig, was macht dir Angst? Was würde dir jetzt guttun?"


Das sind alles Fragen, durch die ich zu mir selbst finden kann. Ich gehe in diesen Fragen in Beziehung mit dem fühlenden Teil in mir, dem ich Verständnis entgegenbringe. Und das tut auf einer ganz tiefen Ebene gut.


Es ist das, was ich gebraucht hätte, als ich Kind war. Es ist das, was wir uns alle in Beziehung wünschen.


Schau, was diese Haltung dir selbst gegenüber mit dir macht. Wenn du magst, schreibe in ein Tagebuch, wie sich diese Erfahrung in deinem Körper, in deinen Gefühlen widerspiegelt und in welche Gedanken sie dich bringt.


So baust du Schritt für Schritt eine gute Beziehung zu dir selbst auf.





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