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Die Beziehung zu mir selbst ist der Spiegel meiner Beziehung zur Welt


Für mich persönlich ist dieser Satz eine der zentralen Erkenntnisse der Achtsamkeit. Durch Achtsamkeit lernen wir genau zu sein mit unseren Gefühlen und Gedanken und können erkennen, daß das was wir in uns ablehnen auch das ist, mit dem wir im Außen in Konflikt kommen.

Woher kommen unsere Urteile?

Es gibt ein Zitat das mich immer wieder berührt. Es heißt: "Die meisten Eltern würden alles für ihr Kind tun, außer es so sein zu lassen wie es ist." Darin liegt eine tiefe Wahrheit. Könnten wir unsere Kinder so annehmen wie sie sind, und sie in dem fördern, was von ihnen ausgeht, würden sie alle ihre Gefühle und Persönlichkeitsanteile erhalten, und wären immer bei sich. Doch die meisten von uns verlieren sich in der Kindheit zumindest in Teilen.

Wir vermitteln Kindern daß bestimmte Gefühle gut und andere nicht so gut sind. Daß sie bescheiden sein sollen, gehorsam, und zurückhaltend. Oder wir vermitteln unseren Kindern, daß es gut ist forsch aufzutreten, sich nicht die Schneid abkaufen zu lassen, und sich immer als Erster zu nehmen, weil sie sonst nicht ihren fairen Teil bekommen.

Wo wir als Eltern in unserem eigenen Leben Urteile haben, da geben wir diese Urteile an unsere Kinder weiter. Entweder durch Kritik an ihrer Person oder dadurch, daß wir Urteile über andere haben, die das Kind mitbekommt.

Jedes Kind ist auf seine Eltern angewiesen und lernt daher schnell, daß es bestimmte Gefühle nicht haben darf, wenn es mit den Eltern zusammen ist - wenn es möchte, daß es von den Eltern gesehen und angenommen wird.

Das Kind lernt sich bestimmte Gefühle nicht mehr zu erlauben. Diese Gefühle werden tabu. Wir schauen nicht mehr in diese Richtung. Diese Gefühle trotzdem zu haben ist mit mit schlechtem Gewissen, mit Scham, und später auch mit Urteil verbunden.

Denn diese Gefühle zu haben heißt in der Tiefe, daß ich meine Zugehörigkeit gefährde. Und das ist für ein Kind lebensbedrohlich.

Auf diese Weise entsteht unsere sogenannte "Persönlichkeit".

Persönlichkeit ist ""Wer bin ich wirklich minus der Gefühle und Persönlichkeitsanteile, die wir uns nicht mehr zu fühlen trauen.

Der innere Kritiker

Was wir in unserer Kindheit als Kritik von außen erfahren lebt in uns weiter. Wir haben diese Stimmen verinnerlicht - in der Form des inneren Kritikers. Der innere Kritiker ist für die meisten Leute leicht zu identifizieren. Sie kennen ihn nur zu gut. Es ist die Stimmte, die bei jeder unserer Handlungen über uns urteilt, und die meist nicht besonders zart mit uns umgeht. Der innere Kritiker ist so eine Art Trance, in der wir leben, in der wir die Urteile unserer Eltern gespeichert haben. In dieser Trance ist unser Selbstwertgefühl verletzt - denn diese Trance existiert nur, weil wir Teile von uns, die in Wirklichkeit immer da sind und die dazu gehören von uns abspalten mußten.

Die Stimme des inneren Kritikers nimmt die Kritik im außen sozusagen vorweg - und schützt uns so vor äußerer Kritik. Er ist kein "objektiver" Kritiker, sondern ein zutiefst subjektiver Kritiker, der etwas mit der Geschichte unserer Familie zu tun hat.

Unser Urteil über Andere

Wo wir gelernt haben Urteile gegenüber Gefühlen und Persönlichkeitsanteilen von uns zu haben, schließt sich der Kreis in der Außenwelt. Wenn uns Leute begegnen, die ein Gefühl verkörpern, das in uns tabu ist - dann haben wir automatisch den Leuten gegenüber ein Urteil. Wir finden sie sind egoistisch, wo sie vielleicht nur gut auf ihre Bedürfnisse schauen. Wir sehen sie als oberflächlich, wo sie vielleicht nur Spaß am Leben haben. Und so weiter. So wird unsere Innenwelt zum Spiegel unserer Außenwelt.

Sobald wir ein Urteil haben sind wir nicht mehr in Beziehung mit uns selber, mit dem Gegenüber, und mit der Wirklichkeit. Wir leben in dem Moment unsere inneren Bilder und verwechseln unser Gegenüber mit jemandem aus der Vergangenheit, der eine ähnliche Energie hatte. Wir sind in dem Moment blind für die Wirklichkeit.

Konflikte

Überall dort wo wir ein Urteil gegenüber uns selbst haben, sind wir in Wirklichkeit in Konflikt mit uns selbst. Und überall, wo wir in Konflikt mit uns selbst sind, sind wir in Konflikt mit der Außenwelt.

Dort wo wir selber nicht empathisch mit uns umgehen können, da können wir auch unserem Gegenüber nicht empathisch begegnen. Wir haben dort einen blinden Fleck, und haben daher in dem Punkt kein Gefühl für unser Gegenüber.

Je mehr Persönlichkeitsanteile und Gefühle wir verleugnen mußten, um zu Hause dazu zu gehören, desto weniger lebendig, spontan und lebensfroh sind wir, und desto mehr Energie kostet uns das Leben.

Denn Gefühle können nicht selektiv unterdrückt werden. Wenn wir ein Gefühl in uns unterdrücken, geht unsere gesamte Lebendigkeit zurück.

Wen wir genau hinschauen, haben wir gegenüber Leuten, die Gefühle und Persönlichkeitsanteile verkörpern, die wir uns selber nicht erlauben ein ambivalentes Gefühl. Einerseits haben wir ein Urteil ihnen gegenüber. Andererseits gibt es auch einen Anteil in uns, der gerne könnte was sie können. Und genau dieses Gefühl ist ein Hinweis darauf, daß wir uns danach sehnen wieder ganz zu werden - wieder das leben zu können, was wir durch Urteil abspalten mußten.

Wenn sich unsere Persönlichkeit so entwickelt hat und wir Kinder bekommen, geben wir unsere Urteile an sie weiter, weil wir immer noch in der Illusion leben, daß die Unterdrückung bestimmter Gefühle unsere Zughörigkeit sichert, und damit im Leben Sicherheit bietet. Wir beschneiden unsere Kinder in ihren Gefühlen weil wir glauben, daß wir ihnen damit etwas Gutes tun.

Doch diese Vorstellung ist eine Illusion. Das was uns in unserer Herkunftsfamilie Zugehörigkeit und Sicherheit gegeben hat wird zur Brille, durch die wir das Leben betrachten. Wir merken als Erwachsene nicht mehr, ob dieses Verhalten der Situation angemessen ist. Wir leben, wie es in der Achtsamkeit oft heißt, im Autopilotmodus.

Solange wir Teile von uns abgespalten haben, leben wir unsere inneren Bilder. Die Urteile, die wir dem gegenüber habe, was uns begegnet verhindert, daß wir die Wirklichkeit erkennen können wie sie ist.

Das sind zumeist Vorgänge die uns nicht bewußt sind. Sobald wir sie mit Hilfe der Achtsamkeit in den Fokus bekommen, rücken sie in unser Bewußtsein.

Achtsamkeit und Urteil

Achtsamkeit setzt genau beim Thema Urteil auf unterschiedliche Arten und Weisen an, und kann sehr viel dazu beitragen, daß wir unsere inneren - und damit auch äußeren Urteile verlieren. So können wir Stück für Stück mit uns und der Welt in Frieden kommen.

Die Grundhaltungen der Wahrnehmung in der Achtsamkeit (die 9 Aspekte der Achtsamkeit) basieren alle darauf kein Urteil, keinen Anspruch, und keine Erwartungshaltung gegenüber der Wirklichkeit zu haben. Im achtsamen Blick legen wir sozusagen die innere Brille ab, und versuchen der Wirklichkeit so zu begegnen wie sie ist. Und nachdem Wirklichkeit ein recht mißverständliches Wort ist - und es so viele Wirklichkeiten gibt, ist die Formulierung der Achtsamkeit, daß wir "dem was ist" in einer annehmenden Haltung begegnen. Denn das was ist beinhaltet alle Wirklichkeiten, und somit das Ganze.

Konflikt mit Anderen

Wo immer wir merken daß wir Streß bekommen und in Konflikt mit jemandem geraten, wissen wir in der Haltung der Achtsamkeit, daß wir in inneren Bildern gefangen sind. Im Lauf des 8 Wochen MBSR Kurses übt man Techniken ein, wie man in solchen Situationen bei sich bleibt - zu seinem Atem zurück kehrt, und die Situation, sowie das eigene Gefühl halten kann, ohne gleich zu handeln.

Wo das gelingt, hilft die Achtsamkeit in der Kommunikation mit Anderen bei Streß zu uns selbst zurück zu finden, und die innere Brille - den Autopiloten zu neutraliseren.

Wo ein Anteil von uns getriggert wird, der für uns eigentlich tabu ist, werden wir in der Regel von einem Gefühl von Scham, Herzklopfen, Watte im Hirn, von einer Starre oder Ähnlichem daran gehindert das Gefühl, das in uns tabu ist nach außen zu lassen. Vielleicht dürfen wir nicht wütend werden, weil es gefährlich war wütend zu sein. Vielleicht dürfen wir jetzt nichts sagen, weil früher dann sicher etwas schlimmes passiert wäre.

Wenn wir durch diese Brille auf die Wirklichkeit schauen, sehen wir sie nicht mehr. Wir sind meist nur noch in Kontakt mit einem dominanten inneren Gefühl, das in uns Streß und Panik auslöst. Wir verlieren den Kontakt zu uns selbst und zu unserem Gegenüber.

Später, wenn die Situation vorbei ist fällt uns ein was wir hätten sagen - und wie wir hätten reagieren können. Denn dann haben wir wieder den vollen Zugang zu all unseren Gefühlen und Gedanken.

Achtsamkeit und der Konflikt mit uns selbst

Wie wir gesehen haben ist jeder Konflikt mit anderen auch gleichzeitig ein Konflikt mit uns selber. Der Konflikt mit uns selber begegnet uns sozusagen im Außen.

Wenn wir mit uns alleine sind, wenn wir beispielsweise meditieren, dann merken wir oft, daß wir Gefühle und Körpergefühle haben, die wir nicht haben wollen. Wir sind angespannt, wir haben Angst vor etwas, fühlen uns ohnmächtig, oder traurig. Wir wollen vor diesen Gefühlen fliehen, in dem wir uns ablenken, vor ihnen weg laufen, sie ignorieren, oder bewußt an etwas anderes denken.

Doch wenn wir das versuchen, passiert mit unseren Gefühlen genau das Gegenteil von dem was wir wollen. Die Gefühle die wir nicht haben wollen werden stärker in uns. Je mehr wir sie los werden wollen, desto stärker werden sie.

Achtsamkeit nimmt auch gegenüber dem Konflikt mit uns selbst die gleiche klare Haltung ein. Jedes Gefühl, das ich in mir habe gehört dazu. Es ist wertvoll, es darf sein, allein schon weil es existiert. Ich begegne dem Gefühl ohne Urteil und gehe mit ihm in Kontakt, statt mich von ihm abzuwenden. Ich gehe in der Haltung der Achtsamkeit auf das unangenehme Gefühl zu, statt weg zu laufen.

Und zwar in der inneren Überzeugung, daß ich meine innere Wirklichkeit annehme wie sie ist. Weil alles dazu gehört was sich zeigt. Ausnahmslos.

Was passiert in dieser Haltung? In dieser Haltung lernen wir Stück für Stück uns selber wieder anzunehmen wie wir sind. So wie wir als Kinder gern von unseren Eltern angenommen worden wären. Alles darf sein - so wie es ist - ganz einfach weil es ist.

Wir können nichts von uns abspalten. Es ist alles immer da.

Transformation durch Integration

Wenn wir ja sagen zu den Gefühlen und Persönlichkeitsanteilen, die wir in uns nicht haben wollen, dann beginnen sie sich zu verwandeln - in konstruktive und freundliche Anteile, und unser Urteil über sie schrumpft zunehmend.

Wo unser Urteil gegenüber Anteilen von uns schrumpft, finden wir in mehr und mehr Situationen zu einem Ja zu uns - so wie wir sind, und nicht so wie wir glauben sein zu müssen, oder jemand anderer uns haben will.

Dann sind wir weniger in Konflikt mit uns. Und da die Welt ein Spiegel unserer inneren Welt ist, sind wir automatisch weniger in Konflikt mit der Welt um uns und können uns so zeigen wie wir sind.

Wir werden lebendig. Schlechtes Gewissen und Scham enden dort, wo wir erkennen, daß alle unsere Gefühle wichtig und gut sind - auch die, von denen wir uns das überhaupt nicht vorstellen konnten.

Jede Lösung erfolgt über ein Ja zu uns selbst. Wenn wir ein Ja zu uns selbst finden, finden wir auch ein Ja zur Welt um uns herum. Einige Einträge auf der homepage widmen sich dem Thema wie wir Gefühle und Persönlichkeitsanteile integrieren können. Das ist sozusagen eine der zentralen Kompetenzen der Achtsamkeit.

Natürliche Abgrenzung

Wen ich ein Ja zu mir finde wie ich bin, kann ich mich auch abgrenzen, denn ich stehe in großer Selbstverständlichkeit zu dem was für mich paßt, und was nicht. Ich verliere auch mein Urteil darüber, wenn es jemand anders sieht als ich. Das ist seine Wirklichkeit. Sie bedroht mich nicht mehr. Die beiden Wirklichkeiten stehen nebeneinander - sie dürfen beide sein. So wird durch das Ja auch ein Nein möglich, das mit dem Gegenüber, mit der Situation, und mit mir selber in Kontakt bleibt.

"Werde, der du bist"

ist für mich das zentrale Zitat in der Achtsamkeit. Es ist von Friedrich Nietzsche, und ich zitiere es auf dieser homepage mehr als ein mal. "Werde der du bist" ist meine Praxis der Achtsamkeit. Überall wo du ganz bist, kannst du auch anderen um dich herum erlauben so zu sein wie sie sind. Wenn wir wieder ganz werden, kommen Lebensfreude und Kreativität (der Ausdruck von Lebensfreude), und wir erleben, daß wir voller Energie sind, weil die Energie, die immer da war jetzt fließen kann.

Die Lösung in mir geht immer vor

Wer sich aufmerksam mit Achtsamkeit beschäftigt merkt, daß die Lösung mit mir selber immer vorgehen muß. Wenn ich versuche ein Urteil gegenüber jemand anderem aufzulösen, während ich das Urteil immer noch in mir trage, bleibe ich immer im Widerstand.

Doch wenn ich mit mir selbst in Frieden komme, geschieht der Rest von alleine.

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