Autopilot ist ein ganz zentraler Begriff in der Achtsamkeit. Wir kennen den Begriff aus dem Verkehr, wo das Auto sich ganz von alleine steuern kann, ohne daß der Mensch bewusst eingreifen muss.
Bei genauerer Betrachtung haben wir auch einen Autopiloten - eine emotionale und unbewusste Steuerung, die unser Leben lenkt, ohne daß wir das bewusst mit bekommen.
Diese emotionale Steuerung heißt in der Achtsamkeit Autopilot.
Was bedeutet Autopilot in der Achtsamkeit?
Das Wort "Autopilot" bezieht sich in der Achtsamkeit darauf, daß unsere Entscheidungen im Alltag und unser Verhalten zu 95% unwillkürlich und unbewusst ablaufen. Während wir in der Regel glauben, daß unser Denken und unsere Pläne unser Handeln bestimmen, sind es in Wirklichkeit unsere Gefühle.
Oder anders gesagt, wie wir "emotional" auf Ereignisse reagieren, bestimmt wie wir handeln. Da sich diese Steuerung in einem Teil unseres Hirns abspielt, der unbewusst ist, bekommen wir unseren Autopiloten nicht bewusst mit und glauben so, daß unser Denken unser Tun bestimmt.
Warum das so ist, dazu hat die Hirnforschung sehr interessante Dinge herausgefunden.
Wir haben drei Gehirne
Unser Gehirn ist bei genauerer Betrachtung nicht nur ein Gehirn, sondern drei Gehirne, die unabhängig von einander arbeiten, die unterschiedliche Aufgaben haben - und die unterschiedlich schnell und auch von der Evolution her gesehen unterschiedlich alt sind.
Zwei der Hirnteile sind unbewusst - und nur ein Teil - der denkende Teil - ist und bewusst.
Das Reptiliengehirn
Das Reptiliengehirn ist der älteste Teil unseres Gehirns und funktioniert in sich noch genau so wie beim Reptil. Es steuert nicht nur alle unwillkürlichen Körpervorgänge, es ist auch für alle basalen Überlebensinstinkte verantwortlich. Man kann es daher auch als Instinktgehirn sehen.
Da dieser Gehirnteil der Älteste ist, reagiert er auch am schnellsten. Kommt beispielsweise ein Gegenstand in unsere Richtung geflogen, ducken wir uns instinktiv. Und zwar ducken wir uns so schnell, daß wir zu dem Zeitpunkt noch gar nichts gefühlt oder gedacht haben.
Dieses Gehirn achtet also jenseits von Moral, Gefühl und Denken auf unser Überleben.
Das zweitschnellste Gehirn ist unser emotionales oder fühlendes Gehirn. Auch dieser Teil unseres Gehirns ist schneller als wir denken können.
Das Fühlende Gehirn
Dieses fühlende, emotionale Gehirn, auch soziales Gehirn genannt, haben alle Säugetiere. Also alle Tiere, die nicht komplett unabhängig und fertig auf die Welt kommen.
Säugetiere sind in ihrer Entwicklung von Beziehung abhängig, denn sie können alleine nicht überleben. Sie brauchen ihre Eltern oder eine Gruppe, die für es sorgt und es beschützt. Der Mensch ist dabei von allen Säugetieren am längsten abhängig von anderen.
Sein Überleben ist also davon abhängig, sich emotional gut in eine Gruppe einzufügen. Das soziale Gehirn erkennt Gefühle anderer und steuert die eigenen emotionalen Prozesse so, daß ich zur Gruppe oder Familie, in der ich aufwachse, zugehörig sein darf.
Auf diese Art werden in unserem sozialen Gehirn unsere wesentlichen Beziehungserfahrungen gespeichert. Durch sie entscheidet sich, ob wir die Welt als freundlich oder feindlich begreifen - und ganz individuell bestimmen diese Erfahrungen auch darüber, in welchen Situationen wir persönlich in Konflikt kommen und in welchen wir uns entspannen können. Diese Beziehungserfahrungen formen unsere Persönlichkeit. Sie werden zur Brille, durch die wir die Welt sehen.
So entstehen in uns Glaubenssätze, die unser emotionales Erleben prägen.
Das emotionale Gehirn automatisiert Abläufe
Unser emotionales Gehirn hat die Fähigkeit komplexe Abläufe zu steuern. Alle komplexen Abläufe werden in gewohnheitsmäßigen Mustern in uns gespeichert und können wieder perfekt abgerufen werden. Diese Funktion ist deswegen überlebensnotwendig, weil unser Denkendes Gehirn seine Aufmerksamkeit immer nur auf eine Sache lenken kann. Mit allem anderen ist unser denkendes Gehirn überfordert.
Das heißt, wir brauchen so eine Art Supercomputer in uns, der viele Dinge, die gleichzeitig ablaufen, auf einmal steuern kann, ohne daß unsere bewusste Aufmerksamkeit damit beschäftigt ist.
Wenn wir Auto fahren lernen, scheint es am Anfang unmöglich. Verkehr beobachten, schalten, kuppeln, Rückspiegel schauen, Verkehrszeichen erkennen, auf Fußgänger achten, blinken, etc. Totale Überforderung.
Aber nur so lange, bis wir diese Vorgänge automatisiert haben. Ist das einmal geschehen, können wir quer durch eine große Stadt fahren, ohne daß unsere Aufmerksamkeit dabei jemals bewusst beim Fahren selber ist. Das Fahren wird automatisiert erledigt.
So wird alles in uns automatisiert. Unsere persönliche Art unseren Arm zu heben, jemanden zu grüßen, das Gleichgewicht beim Fahrrad fahren zu halten und beim Schwimmen über Wasser zu bleiben. Wir wissen nicht, wie wir diese Dinge genau machen, aber unser emotionales Gehirn weiß es.
Auch unsere emotionalen Reaktionen werden automatisiert. Letztlich ist unsere ganze Persönlichkeit nichts weiter als eine Sammlung automatisierter Gewohnheit.
Machen wir eine Beziehungserfahrung, gewöhnen wir uns in Bezug auf diese Erfahrung
eine Reaktion an, die in der Situation für uns am besten funktioniert. So kommt es zu gewohnheitsmäßigen Reaktionsmustern. Diese gewohnheitsmäßigen Reaktionsmuster werden im Laufe unseres Lebens zu sich wiederholenden Beziehungsmustern.
Unsere Gefühle sind schneller als wir denken können
Daß unsere Gefühle schneller sind als wir denken können ist der wesentliche Grund dafür, daß sie für unser Handeln so dominant sind.
Einfach gesagt bedeutet das, daß wir schon emotional reagieren, bevor wir noch die Chance haben zu denken.
Das führt auch dazu, daß unsere Gedanken immer schon emotional eingefärbt sind, wenn wir sie haben. Wir denken sozusagen durch unsere Gefühle. In dieser Weise wird unser Denken durch unsere Gefühle bestimmt.
In welche Gefühle wir kommen, hängt ganz wesentlich von unseren emotionalen Vorerfahrungen ab. Haben wir mit einer Situation in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht, erkennt das unser emotionales Gehirn assoziativ und bringt uns sofort in die Gefühle, die uns in der Vergangenheit geholfen haben die Situation zu meistern.
Das ist einerseits großartig - doch andererseits reagieren wir so in den immer gleichen gewohnten Mustern, ohne erkennen zu können, ob die emotionale Reaktion in der jetzigen Situation auch angemessen ist.
So werden wir in gewisser Weise zu Opfern unserer emotionalen Vorerfahrungen und merken immer wieder, daß sich eingefahrene Beziehungsmuster wiederholen, auch wenn sie nicht mehr erfolgreich sind. Egal wie wir versuchen bewusst gegenzusteuern - wir merken, daß es nicht funktioniert.
Denn die emotionale Steuerung unserer Psyche ist uns nicht bewusst.
95% Autopilot
Wie eingangs beschrieben, bestimmt diese Autopilot Steuerung 95% unserer
Verhaltensweisen und Reaktionsmuster - und zwar ganz individuell bei jedem verschieden. Je nachdem welche emotionalen Vorerfahrungen wir gemacht haben.
So "kann" also unser denkendes Gehirn unser emotionales Gehirn offensichtlich nicht steuern. Wir können Gefühle nicht durch unser bewusstes denkendes Gehirn kontrollieren.
Ganz im Gegenteil - wenn sich unser emotionales Gehirn subjektiv in große Gefahr befindet, kann es unser Denkendes Gehirn sogar komplett ausschalten. Es kann entscheiden, daß Denken in diesem Moment keine überlebensnotwendige Fähigkeit ist.
Jeder kennt diese Situation von Prüfungen und angstbesetzten Terminen, in denen das Hirn stillzustehen scheint. Doch es scheint in diesen Situationen nicht nur so. Es steht tatsächlich still. Ausgeschalten von unserem emotionalen Gehirn.
Das Denkende Gehirn
Das Denkende Gehirn ist ein Hirnteil, den nur Menschen haben. Es hat viele einzigartige Fähigkeiten, die die beiden anderen Hirnteile nicht haben.
Das Denkende Gehirn ist der jüngste und somit langsamste Hirnteil. Er braucht einfach länger, um zu einer Bewertung der Situation zu kommen.
Alles was hier passiert ist uns bewusst. Unser denkendes Gehirn kann auf ganz eigene Art und Weise logische und rationale Bezüge schaffen, zukünftige Prozesse strukturieren und planen und vergangene Prozesse reflektieren. Es kann sich auch fiktive Dinge und Situationen vorstellen und visualisieren, die in der Zukunft passieren sollen, was eine einzigartige kreative Leistung ist.
Dieser Teil unseres Gehirns ist ein wichtiger Teil unserer Wahrnehmung, der ganz wesentlich dazu beiträgt, daß wir angemessen reagieren und handeln können.
Wir brauchen alle Fähigkeiten
um angemessen handeln zu können
Wenn wir rein auf der Basis unserer Emotionen entscheiden und handeln, entscheiden wir oft rein auf der Basis von emotionalen Erfahrungen aus der Vergangenheit. Oft sind diese alten Entscheidungen aber in der Situation nicht angemessen. Doch unsere Gefühle allein haben dafür kein Empfinden.
Innehalten
Wenn wir aber lernen innezuhalten - unser Gefühl wahrzunehmen, zuzulassen und anzunehmen - und "nicht gleich zu handeln", lassen wir uns sozusagen von unseren Gefühlen und ihrer Geschwindigkeit nicht überrumpeln. Wir können die Gefühle als wichtig annehmen, können aber in unserer Reaktion warten, bis wir die Möglichkeit hatten auch zu denken.
Die emotionale Ebene und die Denkebene zusammen kommen in der Regel zu einer viel angemesseneren Reaktion auf die jetzige Situation, als die reine Gefühlsebene.
Gleichgewicht zwischen Denken und Fühlen
Jeder Teil unseres Gehirns erledigt eine besondere Aufgabe besonders gut. Als alleinige Quelle für Entscheidungen ist es aber weder gut nur rational zu entscheiden, noch ist es gut alles einfach nur durchzudenken und die Gefühle aus dem Spiel zu lassen.
Nur wenn es möglich ist alle Wahrnehmungssysteme wahrzunehmen, kommen wir zu einer angemessenen Reaktion, in der wir gut in Beziehung mit uns sind und mit anderen sein können.
So ist das Innehalten, damit die Gedanken auch an Entscheidungsprozessen teilnehmen können, eine ganz wesentliche Fähigkeit, um in vielen sozialen Situationen nicht zum Opfer des eigenen Autopiloten, beziehungsweise seiner eigenen Vergangenheit zu werden.
Achtsames Handeln wird möglich, wenn das Bewusstsein Instinkte, Gefühle und Gedanken gleich achten kann. Wo das gelingt, sind wir in unserer Wahrnehmung im Gleichgewicht.
Achtsame Wahrnehmung kann sich aus diesem Wissen bewusst dazu entscheiden innezuhalten - und den Raum zwischen Reiz und Reaktion so weit werden zu lassen, daß alle Wahrnehmungssysteme Teil der Reaktion werden können.