Innehalten gehört zu den ganz grundlegenden Begriffen in der Achtsamkeit.
In Gesprächen reagieren wir oft sehr schnell und emotional. Nachher merken wir, daß das vielleicht nicht so ideal war. Dann ist es meist schwer zurück zu rudern und wieder auf das Gegenüber zuzugehen.
Woher kommt die schnelle Reaktion?
Wir sind als Menschen zuallererst emotionale Wesen. Das liegt daran, daß unser Hirn schneller ist als wir denken können. Oder anders gesagt, unser emotionales Gehirn ist schneller als unser denkendes Gehirn. Wir reagieren in Gesprächen schon emotional, bevor wir überhaupt eine Chance hatten einen klaren Gedanken zu fassen. Emotionale Reaktionen passieren unmittelbar. Wir entscheiden nicht bewusst darüber welche Gefühle wir haben. Sobald Gefühle da sind, prägen sie die Wahrnehmung der Situation, in der wir uns befinden.
Wenn man das ernst nimmt, muss man erkennen, daß wir unabhängig von unseren Gefühlen nicht denken können. Alle Gedanken, die wir haben sind immer schon emotional eingefärbt.
Das alles passiert ganz automatisch. Daher heißt dieser Modus des Reagierens in der Achtsamkeit auch "Autopilot".
Sind wir gestresst, übernimmt schnell ein dominierendes Gefühl die ganze Situation. Dieses Gefühl nehmen wir oft aus einer Situation in die nächste mit und werden es lang nicht mehr los.
Je emotionaler wir in einer Situation reagieren, desto mehr sind wir von der Fähigkeit abgeschnitten klar zu denken. Gleichzeitig verlieren wir in der Stressreaktion die Verbindung zu vielen anderen Gefühlen in uns - eben weil das eine Gefühle von Wut oder Ohnmacht so dominant ist, daß es für andere Gefühle keinen Platz läßt.
Unsere emotionalen Reaktionen kommen aus der Vergangenheit
Wie wir auf jemanden reagieren, kommt sozusagen aus der Vergangenheit. Das emotionale Gehirn erkennt etwas wieder, wo es schon mal schlechte Erfahrung gemacht hat und schaltet die entsprechenden Gefühle ein. Das heißt, unser emotionales Gehirn verwechselt in gewisser Weise die jetzige Situation mit einer Situation aus der Vergangenheit. Und genau das macht es oft so schwierig angemessen zu reagieren. Oder wie es in der Achtsamkeit heißt, wirklich im Augenblick zu sein.
Innehalten
Innehalten bezeichnet die Fähigkeit in einer Situation nicht gleich impulsiv zu reagieren. Ich kann die Gefühle, die in mir hochkommen spüren, aber ich muss nicht gleich handeln. Vor allem im Wissen, daß ich in der Stressreaktion nicht ganz bei mir bin. Daß mein Blick sehr eng ist und ich in der Stressreaktion nicht fähig bin die Sicht des anderen zu verstehen.
Die Idee des Innehaltens besteht darin, daß ich mir in der Situation die Möglichkeit gebe wieder zu mir zu kommen. Wieder klar denken zu können, mich wieder mit allen meinen Gefühlen zu verbinden. Dazu ist es wichtig, daß mir meine Stressreaktion bewusst wird.
Das geht vor allem dann gut, wenn ich durch die Übung der Achtsamkeit gelernt habe, Stress im Körper wahrzunehmen. Anspannungen, flachen Atem, weiche Knie, etc. Diese Körperreaktionen sind ein eindeutiges Signal für Stress - und ein Zeichen dafür, daß ich emotional in einen Tunnelblick komme.
Der Atem als Anker
Sich in der Situation ganz bewusst auf den eigenen Atem zu fokussieren ist eine ganz wesentliche Methode in der Achtsamkeit wieder zu sich zu kommen. Zu sich kommen heißt in dem Fall, mit der Aufmerksamkeit ganz zum eigenen Körper und zu sich selbst zu gehen. Anspannungen im Körper zu lösen. Die bewusste Aufmerksamkeit kann zu jedem Zeitpunkt nur an einem Ort sein. Dadurch, daß ich den Fokus auf meinen Atem lenke, gerät das was mich gerade stresst automatisch in den Hintergrund. Sowohl mein Gegenüber, wie auch die inneren Bilder meiner Vergangenheit.
Die Wahrnehmung wird wieder weiter. Das Gefühl, das in der Situation ausgelöst wurde, kann ich weiterhin wahrnehmen. Es gehört dazu und ist wichtig. Aber es wird jetzt wieder ergänzt durch andere Gefühle in mir. Und ich kann wieder klar denken. Mir stehen sozusagen wieder alle Sinne zur Verfügung.
Das führt dazu, daß ich auch wieder angemessen handeln kann.
Ab hier kann ich meine Wahrnehmung wieder ausdehnen. Mein Gegenüber wieder in den Blick nehmen.
Durch das Innehalten und zu mir kommen kann ich mich der Situation wieder öffnen.
Empathie
Sich bewusst in die Lage des anderen zu versetzen, sich darauf einlassen zu können wie sich die Situation für den anderen anfühlt - offen zu sein für andere Perspektiven als meine eigene - das sind alles Synonyme für echte Begegnung und gelungene Beziehung.
Diese Fähigkeit ist in der Stressreaktion unterbrochen. Ich kann andere Perspektiven nur zulassen, wenn ich gut bei mir bin.
Dann ist die Perspektive des Anderen keine Bedrohung für mich.
So ist die Fähigkeit innezuhalten ein direkter Weg zu guten Beziehungen.
Übung
Die Übung besteht darin zu lernen die eigene Stressreaktion besser wahrzunehmen. Wir haben dafür einen wichtigen Partner - das ist unser Körper.
In der Emotionalisierung sind wir mit dem Gefühl in das wir kommen so identifiziert, daß es kaum möglich ist über Gefühle und Verstand wahrzunehmen wie es uns gerade geht.
Aber unser Körper ist ein zuverlässiger Informationsgeber. Wenn uns bewusst wird, wie unsere Körperreaktionen auf Stress sind, können wir in der Situation bewusst wahrnehmen, daß wir gestresst sind. Am besten noch bevor wir aus der puren Emotion heraus agiert haben. Diese halbe Sekunde, in der uns bewusst wir, daß wir gestresst sind, öffnet den Raum für die bewusste Entscheidung sich auf den eigenen Atem zu fokussieren und wieder zu sich zu kommen.
Zu lernen den eigenen Stress in der Situation wahrzunehmen, innezuhalten und die automatische emotionale Reaktion auszusetzen ist eine ganz zentrale Übung der Achtsamkeit. Wo sie gelingt, führt sie in Beziehung.
Jede Form von Körperwahrnehmung wird leichter, wenn ich im Alltag bewusst mit meinem Körper in Kontakt komme. Sei es durch Sport oder Yoga, autogenes Training, Feldenkrais, Massagen,.... - egal was es ist, daß mir hilft die Signale meines Körpers bewusst wahrzunehmen und ernst zu nehmen.
In dem Maß, in dem mein Körper in die bewusste Aufmerksamkeit kommt, wird es leichter den eigenen Stress wahrzunehmen und in der Situation wieder gut zu sich zu kommen.
Tagebuch
Zudem hilft es, sich in einem Tagebuch jeden Tag Körperbeobachtungen zu notieren.
Wie fühlt sich mein Körper an, wenn er entspannt ist?
Was passiert "genau" in meinem Körper, wenn ich gestresst bin?
Wo in meinem Körper spanne ich mich an? Im Brustraum? Im Nacken? Im Bauchraum? In den Schultern?
Sich bewusst zu sein, wo Anspannung passiert ist entscheidend dafür in der Stressreaktion bewusst wahrzunehmen zu können, daß ich gestresst bin.
Und auch entscheidend dafür, daß ich diesen Teil meines Körpers dann auch in der Stresssituation bewusst entspannen kann.