Zu sich zu kommen - ganz bewußt Tun und Machen mal hinter uns zu lassen - das ist etwas, was uns bei unserer Art zu leben immer mehr abhanden kommt. Wir tun so viel, unsere Leben sind so voll, daß wir sogar dann was tun, wenn wir nichts tun. Denn unsere Gedanken laufen noch weiter und unsere Streßhormone wohnen noch in uns, wenn wir "einfach mal nichts tun".
Wir sind darin so ungeübt, daß die erste Woche Urlaub damit vergeht, daß wir ankommen, weil uns die Arbeit noch nachhängt, in der zweiten Woche sind wir da, und in der dritten Woche sind wir innerlich schon wieder mit dem beschäftigt, was auf uns zukommt wenn wir zurückkommen. Wir sind zwar am Strand oder sitzen mit unserer Familie am Tisch - doch gleichzeitig sind wir nicht anwesend.
Wenn wir nicht regelmäßig zu uns kommen und alles dabei was getan werden muß vergessen können, um ganz einfach zu fühlen wie es uns selber geht, verlieren wir die Fähigkeit zu uns zu kommen. Die Fähigkeit, Ruhe auszuhalten. Die Fähigkeit anwesend zu sein mit dem was jetzt ist. Das ist unangenehm und diesem unangenehmen Gefühl weichen wir gern aus durch Ablenkungen, Essen, Social Media, kleinen Süchten, die das unangenehme Gefühl betäuben.
Wir sind ständig damit beschäftigt was gestern war und morgen sein wird.
Nur in der Ruhe - in der Zuwendung zum Sein, in dem es keine Pläne und Anforderungen gibt, haben wir die Chance im Jetzt anzukommen. Dort anzukommen, wo wir leben. Der jetzige Augenblick ist immer der einzige Ort und die einzige Zeit, in der wir wirklich leben. Was in der Vergangenheit war, können wir nicht mehr ändern. Was in der Zukunft ist, können wir nicht kontrollieren. Uns bleibt nur der Augenblick. Je präsenter wir ihn erleben, desto mehr sind wir in unserem eigenen Leben anwesend.
Der Sonntag
Es ist interessant, daß Religionen einen Tag in der Woche freilassen. Einen Tag, der dem Nichtstun gewidmet ist. Ein Tag, an dem man zu sich kommen kann. An dem alle äußeren Verpflichtungen ruhen. Und damit man das auch wirklich durchsteht - so alle Verpflichtungen ruhen zu lassen - gilt der Sonntag einfach für alle. Da fällt es dann schon mal wesentlich einfacher. Die jüdische Religion ist noch viel strikter darin mit dem Sabbat einen Tag einzurichten, an dem wirklich gar nichts gearbeitet werden darf. Die deutsche Übersetzung von Sabbat ist aufhören, ruhen.
Alles funktioniert besser, wenn man es mal kurz aus steckt - uns selber inkludiert, schreibt die amerikanische Autorin Anne Lamott. Muskeln wachsen nur, wenn wir sie nach dem Training ruhen lassen. Ein Brotlaib, der nicht ruhen durfte, wird fest und platt.
Ohne Stille wird Aktivität zu Streß
Nur in der Stille kann sich das Potenzial unserer Aktivitäten entfalten.
Durch meine Achtsamkeitspraxis bin ich heute überzeugt davon, daß sich in der Stille alles in uns ordnet. Auf jeder Ebene. Alles wird einsortiert, alle Systeme regenerieren sich und können das verarbeiten was war. Wenn das nicht passiert, kann schon die erste Information am Montag morgen ein Gefühl von zu viel auslösen. Von Panik, das alles nicht schaffen zu können.
Die Erfahrung zeigt, daß es immer schwieriger wird zur Ruhe zu kommen, je länger wir es nicht gemacht haben. Denn unsere innere Unruhe regiert dann die äußere Ruhe.
Daher ist es für mich wichtig geworden regelmäßig mit mir in Kontakt zu kommen. Mit dem reinen Sein ohne Tun Kontakt aufzunehmen. Jeden Tag in der Meditation und jeden Sonntag als heiligen Tag für mich. Ein Tag, der dem Sein gewidmet ist. Wie geht es uns, wenn wir die Dinge einfach mal "sein" lassen - ohne etwas zu wollen?
Ich bin heute davon überzeugt, daß die Lebensenergie selber unablässig alle unsere inneren Systeme neu ordnet - von der Zellebene bis zu unserem psychischen System. Aber wie bei jedem Ordnungssystem braucht es Zeit diese Arbeit zu machen. Zeit, in der nichts Neues dazu kommt, was auch noch aufgeräumt werden muß.
Je mehr Zeit im Sein man sich gibt, desto tiefer ist der Prozeß der inneren Ordnung, der in Gang gesetzt wird. Je länger ich in der Meditation sitze, desto tiefer sind die Erkenntnisse, die aus mir hoch steigen. In der Stille und Ruhe liegt für mich tatsächlich die Kraft. Denn in der Stille und der Ruhe kann ich mich mit meiner eigenen Wahrheit verbinden.
Das Ziel der Achtsamkeit ist es, im Augenblick anzukommen und ihn so zu erleben wie er ist. In seinem eigenen Leben präsent zu sein. Gelingen kann das nur, wenn ich regelmäßig zu mir kommen kann. Wenn ich mich selbst spüren kann. Dann kann ich für den Rest der Woche wieder in Bezug zur Welt gehen. Das eigene Sein geht im Tun verloren. Nur wenn wir unser Sein wieder ganz bewußt spüren, leben wir im Gleichgewicht.
Übung
Die Übung zu diesem Eintrag klingt ganz einfach. Ist sie es auch?
Den Sonntag leben als Tag für mich. Den Sonntag leben als Tag an dem alle beruflichen Ansprüche und Arbeiten von mir abfallen dürfen. An dem ich alles sein lassen kann. Der Sonntag gehört meinen wichtigsten Beziehungen. Der Beziehung zu mir selber und zu denen, die mir nahe sind.
Wie einfach ist es, den Sonntag Sonntag sein zu lassen? Ihn sozusagen als Fasttag vom Leben im Rest der Woche zu erleben? Das Leben selber zu feiern, statt uns mit dem zu identifizieren was wir "tun"?
Als ich damit angefangen habe meinen Sonntag ganz bewußt so zu begehen, fand ich es anfangs schwer. Doch mit der Zeit wird der Sonntag ein Ritual, in dem Entspannung und Nichtstun ihren gewohnten Platz haben.
So wie ich täglich in der Meditation die Zeit finde nur zu sein, so finde ich einmal in der Woche einen Tag, um nur zu sein.
Wenn man in Partnerschaft und Familie lebt, ist es vielleicht nicht so einfach den Sonntag so zu begehen, wenn es die anderen anders machen. Wenn die anderen geschäftig bleiben.
Also ist es gut alle mit einzubeziehen. Vielleicht diesen Eintrag zu teilen und zu schauen, ob man gemeinsam den Sonntag wieder Sonntag sein lassen kann.
Ich persönlich definiere Gott als die Erfahrung von Ganzheit - im Kleinen wie im Großen. Wo immer wir mit der Ganzheit in Kontakt kommen - im Kleinen wie im Großen - da fühlen wir uns verbunden und lebendig - im Einklang.
Und so finde ich es aus der Sicht der Achtsamkeit sehr weise, daß Weltreligionen einen heiligen Tag eingeführt haben, der ganz dem Sein gehört.