Geben und Nehmen ist eine Ebene von Beziehung, die uns kaum bewußt ist - die aber sehr darüber bestimmt, wie wir uns in Beziehungen fühlen.
Es gibt in uns ein natürliches Bedürfnis nach Ausgleich. Dadurch entsteht ein Kreislauf. Wer etwas bekommt, gibt etwas zurück. Oft ein bißchen mehr, als er bekommen hat. Was wiederum zur Folge hat, daß auch der Andere wieder gibt. Dieser Kreislauf hält Beziehung und Liebe in Paarbeziehungen aufrecht.
Wenn wir etwas bekommen und dafür nichts geben, ist etwas nicht im Gleichgewicht. Etwas gerät aus der Balance. Wenn wir etwas bekommen, und dafür nichts geben, entsteht Schuld - da wir dem Anderen etwas schuldig bleiben. Diese Schuld belastet die Beziehung. Das spüren beide.
Oft geben beide und doch haben beide das Gefühl nichts zu bekommen. Der natürliche Austausch von Geben und Nehmen entsteht nicht. Wenn die Beziehung sich in die Richtung entwickelt, ist es oft sehr schwierig wieder zueinander zu finden. Vor allem, weil es nicht leicht ist, die Ursachen zu erkennen.
Im Wesentlichen gibt es zwei Ursachen dafür, daß der Kreislauf unterbrochen wird. Nicht zu wissen, was die Bedürfnisse meines Partners sind und in einer Haltung zu geben, die es meinem Partner unmöglich macht, das was ich gebe anzunehmen.
Die Bedürfnisse meines Partners
Jeder von uns braucht etwas anderes um Liebe empfinden zu können. Dieses Empfinden gehört zu unserer Geschichte, zu unserer Persönlichkeit, und das ist völlig legitim. Es ist wichtig, das anzuerkennen. Uns das selber zuzugestehen - und auch unserem Partner.
Doch genau diese Ebene in Beziehungen - was brauche ich, damit ich mich verbunden und geliebt fühle, und was braucht mein Partner, damit er sich verbunden und geliebt fühlt, ist meist beiden Partner nicht bewußt.
Über diese Ebene denken die meisten bei sich nicht bewußt nach - und sie kommunizieren sie auch nicht an ihren Partner. In der Liebe gibt es oft das Gefühl, daß der Andere schon wissen muß was ich brauche, wenn er mich liebt.
Es kann ganz unterschiedlich sein was wir brauchen. Dem Einen tut körperliche Nähe und Berührung gut. Der Andere erlebt Nähe, wenn er einfach reden kann - während ihm der andere verständnisvoll zuhört. Der eine freut sich vielleicht über kleine Aufmerksamkeiten, der andere braucht es, gemeinsame Aktivitäten zu teilen, oder am Tag ein SMS zu bekommen, weil es ihm das Gefühl gibt im Leben des Anderen wichtig zu sein.
Wichtig ist, daß jeder der Partner sich erst mal selber bewußt macht was er braucht, um Liebe zu spüren. Im besten Fall kann man sich dann an einem Wochenende zusammen setzen und das mit seinem Partner teilen. So daß jeder vom anderen erfährt, was dessen wirkliche Bedürfnisse sind.
Oft geben wir in Beziehungen das, was wir selber gern von unserem Partner kriegen würden. Ganz unbewußt. Wir empfinden es als Ausdruck unserer Liebe. Doch wir sind blind dafür, was unser Partner braucht, um sich geliebt zu fühlen. So machen wir die Erfahrung, daß wir geben - doch das was wir geben, scheint nichts zu zählen. Wir geben und haben das Gefühl, daß uns unser Partner nicht mag, weil er das Gegebene nicht annimmt, nicht wertschätzt, und weil er nicht zurückgibt.
Dieses blinde Geben kann in der Partnerschaft in beide Richtungen gleichzeitig passieren. Beide haben das Gefühl ständig zu geben, aber nichts zurück zu bekommen. Beide haben das Gefühl etwas zu geben was sehr wertvoll ist - denn es entspricht ihrem Empfinden, dessen was Liebe ist. Wenn man damit nicht ankommt, fühlt man sich ungeliebt.
In der Tiefe ist diese Art zu geben egoistisch. Sie hat die Bedürfnisse des Partners nicht im Blick. Diese Art zu geben gibt nicht bedingungslos - aus Liebe zum Partner - um des Partners willen. Diese Art zu geben gibt, weil sie etwas zurückbekommen möchte.
Genau diesen Anspruch spürt der Partner. Und genau dieser Anspruch ist ein weiterer Punkt, der dazu führt, daß der Austausch im Geben und Nehmen unterbrochen wird.
Viele von uns tun sich schwer damit zu nehmen, weil sie in ihrer Biografie erfahren haben, daß sie immer etwas bekommen haben, was ihnen nicht entsprochen hat. Sie wurden im Geben nicht gesehen. Also können sie auch nicht nehmen.
Viele von uns geben gern und viel, doch es kommt nicht so viel zurück. Dieser Effekt entsteht in der Tiefe aus einer Bedürftigkeit, die einen Anspruch stellt. Also kann der Andere nicht zurückgeben.
Zwei Seiten einer Medaille.
Wie kann ich richtig geben?
Ich kann meinem Partner das geben was er braucht um sich geliebt zu fühlen - wenn ich weiß, was es ist.
"Unconditional love" ist ein schöner Begriff aus dem Englischen. Wenn ich meinem Partner geben kann was er braucht, aus Liebe zu ihm - weil ich ihm etwas Gutes tun will - ohne eine Bedingung, einen Anspruch daran zu knöpfen, wird der Kreislauf aus Geben und Nehmen wieder aktiviert.
Sobald eine innere Haltung mit dem Geben verbunden ist, die dafür etwas zurückbekommen möchte, spürt der Partner das auf der Energieebene. Dann kann es sogar sein, daß es das Richtige war, was ich ihm gegeben habe - doch er kann es dann trotzdem nicht nehmen.
Denn in der Tiefe geht es dann wieder nicht um mich und mein Bedürfnis, sondern um den Anspruch sein Bedürfnis zu erfüllen.
Unsere innere Haltung bestimmt unsere Gefühle und unsere Gefühle haben eine Schwingung, die unser Gegenüber wahrnimmt. So funktioniert Kommunikation zwischen Menschen. Was ich an der Oberfläche sage oder tue, ist im Vergleich zu der Haltung, in der sich es sage nebensächlich.
Darum ist die Haltung, aus der heraus ich gebe entscheidend dafür was ich zurückbekomme. Nur wenn ich mich von dem Anspruch lösen kann, daß ich für jedes Geben etwas bekomme, kann ich etwas bekommen.
Wenn ich von Herzen gebe, bekomme ich von Herzen zurück.
Ich gebe, ohne zu erwarten, ohne einzusperren, ohne den anderen auf irgendeine Art haben zu wollen, die er im Moment nicht ist. Das ist der Ausdruck von bedingungsloser Liebe. Diese Liebe hält nicht fest und genau dadurch kann sie halten.
Sie gibt Halt. Man ist für den anderen ein echtes Gegenüber. Man sieht, und wird gesehen.
Wer macht den ersten Schritt?
Wir sind es so gewöhnt in Beziehungen etwas zu erwarten, dafür daß wir etwas tun. Es ist schwer sich aus dieser Haltung zu lösen. Wir sind es so gewöhnt, uns in Partnerschaften als Opfer des andere zu erleben, daß wir nicht sehen, was wir ihm selber vorenthalten.
Dort, wo wir uns in Partnerschaft lange nicht mehr im Kreislauf von Geben und Nehmen begegnen konnten, leben wir oft in dem Gefühl, daß uns der andere so viel schuldig geblieben ist. Wie können wir da geben - aus Liebe?
In diesem Gefühl sind wir oft blind dafür, daß der andere im gleichen Gefühl ist. Er hat so viel gegeben und so wenig bekommen. Wer etwas für seine Partnerschaft tun möchte, tut gut darin sich zu fragen, wie er lernen kann so zu geben, daß es den anderen erreicht. Dieser Weg befreit aus Ohnmacht, Anspruch und Vorwurf.
In der bedingungslosen Liebe können wir vom anderen nichts fordern. Wir können uns nur entschließen den Mut zu haben zu geben. In einer Haltung, die nichts erwartet.
Wenn ich lernen, was meinem Partner guttut und ich ihm das in der richtigen Haltung geben kann, setze ich damit den Kreislauf von Geben und Nehmen wieder in Gang. Keiner bleibt dann dem anderen etwas schuldig.
In der Frage wer den ersten Schritt macht, kann also nur jeder für sich entscheiden, ob er den Schritt setzt. Wie bei allen Wegen, die neu beschritten werden ist es gut, jeden Schritt bewußt zu setzen. Mit kleinen Schritten zu starten und den Weg Schritt für Schritt zu gehen.
Bevor ich zur heutigen Übung komme, möchte ich möchte hier noch die vier Mantras der Liebe des buddhistischen Mönchs Thich Nhat Hanh anschließen, weil sie die Herzensqualität bedingungsloser Liebe so fühlbar machen.
Erstes Mantra
"Ich bin für dich da."
Wenn du jemanden liebst, ist das Beste, was du ihm oder ihr anbieten kannst, deine Anwesenheit.
Wie kannst du lieben, wenn du nicht da bist?
Du bietest ihm oder ihr deine Anwesenheit an.
Deine wahre Gegenwart.
Du bist nicht mit der Vergangenheit oder der Zukunft beschäftigt.
Zweites Mantra
"Ich weiß, dass du da bist. Ich bin glücklich, weil du wirklich da bist."
Du erkennst die Gegenwart deines geliebten Menschen als etwas sehr Wertvolles an.
Geliebt zu werden bedeutet, als existierend anerkannt zu werden.
Drittes Mantra
"Ich sehe, du leidest. Deshalb bin ich für dich da."
Bevor du deinem Partner noch helfen kannst, bringt diese Haltung schon Erleichterung.
Viertes Mantra
Wenn du leidest und glaubst, dass dein Leiden von deinem Partner verursacht wurde - leidest du tief.
Du gehst dann lieber in dein Zimmer und schließt die Tür und leidest allein.
Wenn du verletzt wirst, willst du den anderen verletzen.
Das vierte Mantra in dieser Situation ist:
Ich leide. Bitte hilf mir.
Übung
Übung Teil 1
Damit Geben und Nehmen in Partnerschaften in einen guten Fluß kommen kann, braucht es vor allem Bewußtsein. Bewußtsein beginnt immer beim Bewußtsein über die eigenen Bedürfnisse.
Was brauche ich, damit ich Liebe empfinden kann. Was tut mir gut?
Es ist gut, sich für diese Frage mit einem Achtsamkeitstagebuch hinzusetzen. Ohne sich zu überlegen was man schreiben möchte. Am Besten setzt man einfach den Stift an und fängt an zu schreiben. Wenn möglich mit der Hand auf Papier. Diese Art zu schreiben verbindet dich mit mehr als nur deinen Gedanken, und das ist immer gut, wenn wir uns Dinge ins Bewußtsein holen wollen, die in uns sind.
Ich empfehle, sich mit dieser Frage mehr als einmal hinzusetzen. Wirklich mit sich in Beziehung zu gehen. Durch seine eigene Biografie zu gehen.
Wo hab ich mich gesehen und geliebt gefühlt?
Welche Menschen und Situationen fallen mir ein?
Was genau war es, das mir daran gutgetan hat?
Es ist wichtig sich selber kennenzulernen, bevor man sich dem Anderen mitteilt. Es ist gut, Klarheit zu bekommen darüber wer man ist.
"Selbstbewußtsein."
Doch der Kreislauf von Geben und Nehmen ist damit noch nicht in Gang gesetzt.
Übung Teil 2
Wenn du jetzt in der ersten Euphorie deinen Partner mit deinen neu entdeckten Bedürfnissen überfällst, wird er das Gefühl haben nicht genügt zu haben und jetzt eine ganze Aufgabenliste zu bekommen. Er wird das Gefühl haben jetzt höllisch aufpassen zu müssen, daß er nichts falsch macht. So kommt er nie in die Haltung bedingungsloser Liebe. Er spürt nur den Anspruch all das erfüllen zu müssen, weil es sonst der Beweis ist, daß er dich nicht liebt. So verbindet er sich mit dem Gefühl was wohl passiert, wenn ihm das nicht gelingt.
Aus dieser Haltung heraus wird der Partner die eigenen Bedürfnisse immer nur mit eingezogenem Kopf erfüllen, weil er sich fürchtet etwas falsch zu machen. Vom Partner die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse einzufordern ist also sozusagen ein Garant dafür, daß es nicht funktionieren wird.
Was du tun kannst.
Du kannst mit deinem Partner diesen Eintrag teilen und ihn fragen, ob er für sich den ersten Teil der Übung auch machen möchte. Dann ist in der Beziehung ein Ausgleich geschaffen und man begegnet sich auf Augenhöhe. Von dieser Position aus kann man gemeinsam eine Zeit vereinbaren, in der man sich in Ruhe über die gegenseitigen Bedürfnisse austauscht.
Am besten in einer Form, in der jeder dem anderen seine Bedürfnisse mitteilt, während der andere nur mit dem Herzen zuhört - mit dem Willen zu lernen und den anderen zu verstehen. Ohne etwas von dem was er hört zu kommentieren oder zu werten.
Wenn dieser Raum da ist, können sich beide Partner wirklich öffnen.
Übung Teil 3
Wenn es in der Situation, in der sich die Partnerschaft gerade befindet, nicht möglich ist diese Übungen mit dem Partner zu teilen, bleibt einem nur, den ersten Schritt darin zu machen. Und zwar darin den anderen zu fragen was ihm guttut - und auf welche Weise er Liebe empfinden kann.
Egal was ihr Partner sagt, und ob darin versteckte oder offene Vorwürfe zum Ausdruck kommen - hör weiter zu, und kommentiere nichts. Bleib in der Haltung verstehen und lernen zu wollen.
In dieser Haltung gibst du deinem Partner die Möglichkeit sein Herz auszuschütten und sich zu öffnen.
Ein Vorwurf deines Partners ist in diesem Gespräch nichts weiter als die Vorsicht, selber nicht verletzt werden zu wollen. Es ist ein Test, ob der andere auch weiterhin bei mir bleibt? Mich meint? Mir zuhört? Ob der andere auch "wirklich" daran interessiert ist zu hören, was meine Bedürfnisse sind - oder ob sich dahinter ein Anspruch versteckt, ich müßte anders sein als ich bin.
Wenn du dieses Gespräch in der Haltung suchst, verstehen zu wollen und zu lernen - ohne einen inneren Anspruch, etwas für dich kriegen zu wollen, kann sich dein Partner leichter öffnen. Und wo immer das möglich wird, entsteht wieder ein Gefühl von Nähe und Intimität.
Und wo immer Nähe und Intimität zugelassen werden können, weil man sich vor dem Anderen nicht mehr schützen muß, wirkt es sich auch auf die Sexualität aus.
Übung Teil 4
Unabhängig, ob du mit deinem Partner über Teil 2 oder Teil 3 in Kontakt kommst - am Ende kann nur jeder für sich entscheiden, ob er den Mut hat, den ersten Schritt zu tun - aus Liebe zu seinem Partner, in der Haltung bedingungsloser Liebe, die keinen Anspruch kennt.
Liebe besteht nicht darin, daß beide immer das Gleiche wollen. Sondern darin, daß man die Bedürfnisse seine Partner versteht, sieht, und ihnen mit Liebe und Achtung begegnen kann.