Zwang und Selbstwert
- Dirk Meints
- vor 3 Tagen
- 4 Min. Lesezeit
Wer gezwungen wird, lernt, sich selbst zu zwingen. Zwang ist das Gegenteil von Herzlichkeit, Wärme, Verständnis, Unterstützung und Mitgefühl.

Werde ich zu etwas gezwungen, zählt es letztlich nicht, was ich will. Ich beuge mich dem Willen und den Vorstellungen eines anderen Menschen und muss mich dafür selbst aufgeben. Zwang hat viel mit Urteil, Wertung, Vorwurf und Anspruch zu tun. Je abhängiger ich von der Beziehung bin, in der ich gezwungen werde, umso mehr werden mein Selbstwert und mein Selbstvertrauen leiden.
Zwang in der Kindheit
Als Kind ist diese Situation besonders schwierig. Denn in der Kindheit bin ich abhängig davon, bei meinen Eltern einen sicheren Hafen zu finden. Zudem ist alles, was meine Eltern in der Kindheit über mich sagen, eine Wahrheit, die ich nicht anzweifeln kann. Einfach, weil mein Gehirn diese Fähigkeit als Kind gar nicht besitzt. Finde ich also bei meinen Eltern keinen sicheren Hafen, wissen meine Eltern immer, was besser für mich ist, wie ich Dinge tun soll oder was ich tun soll, habe ich keine andere Möglichkeit, als mich und meine Würde aufzugeben. Meine eigene Wahrnehmung, meine eigenen Bedürfnisse, mein eigener Weg, meine eigene Art und Weise Dinge zu machen, werden durch Urteil und Entwertung wie gelöscht.
Beziehungen, die mir beibringen, dass ich nur in Beziehung sein kann, wenn ich mich selbst aufgebe, verankern in mir als Kind ein tiefes Lebensgefühl: "So wie ich bin, bin ich falsch." Und so lerne ich, mir selbst mit Urteil und Wertung zu begegnen. Ich übernehme das Urteil meiner Eltern und lerne, mich selbst zu zwingen.
Durch die absolute Abhängigkeit von den Eltern habe ich als Kind keine Möglichkeit, anders zu reagieren. Doch leider bestimmt dieses Bindungsmuster der Kindheit nicht nur mein Selbstbild, mein Selbstbild und mein Selbstvertrauen. Dieses Selbstbild nehme ich mit in mein erwachsenes Leben und es bestimmt in meinem erwachsenen Leben auch meine Beziehungsmuster.
Wenn ich keine gute Selbstbeziehung habe, kann ich mich nicht ohne Angst zeigen, wie ich bin. Und mein Gegenüber kann mich daher nicht sehen. Lebe ich so, fühle ich mich also letztlich immer allein. Mein wahres Selbst darf nicht leben.
So richte ich mich danach aus, wie andere mich haben wollen. Was ich selbst will, was meine Bedürfnisse sind, davor bekomme ich Angst. Denn - so die innere Überzeugung - wenn ich so bin, wie ich bin, dann will niemand etwas mit mir zu tun haben.
Sehnsucht nach Beziehung
Zwang in der Kindheit erzeugt eine lebenslange Sehnsucht nach Beziehung. Denn mit jemand anderem in Beziehung zu sein, führt mich immer wieder da hin, dass ich mich selbst und meine Wahrnehmung infrage stelle.
So bleibe ich auch als Erwachsener abhängig davon, dass mir andere sagen, was richtig oder falsch ist. Auf diese Weise wirkt der Selbstverlust wie ein Teufelskreis, in dem ich nie bei mir und bei anderen vollkommen ankommen kann.
Wenn es mir nicht gelingt, mich selbst wahrzunehmen und wenn ich nicht den Mut finde, mich so zu zeigen, wie ich bin, dann kann ich nie wirklich in Beziehung sein. Und die einzige Strategie, die ich gelernt habe - die Strategie der Anpassung, führt mich immer tiefer in den gleichen Mechanismus hinein.
Sehnsucht danach leben zu können
Der Preis für das Unterdrücken meiner Gefühle ist hoch. Denn mit jedem Gefühl, das ich unterdrücke, geht meine Lebendigkeit zurück und vieles fühlt sich sinnlos an. Denn ein sinnvolles Leben habe ich nur dort, wo ich gerne mit allen meinen Sinnen lebendig bin.
Der Weg in die Lebendigkeit
Der Weg in die Lebendigkeit und in den Selbstwert gelingt nur, wenn ich Stück für Stück in eine Innenorientierung finde. Wenn ich lerne, den Fokus darauf zu richten, was mir wenig Angst und viel Freude bereitet. Denn das ist der Kompass, den ich habe, um zu wissen, was gut für mich ist.
Übung:
Der Weg in eine gute Selbstbeziehung führt über sichere Beziehungen, doch die kann ich oft nicht herstellen, wenn ich keine gute Selbstbeziehung habe. Denn sichere Beziehungen verlangen von mir, dass ich mich zeige, wie ich bin. Und das kann enorm viel Angst machen.
Und genau bei diesem so wesentlichen Schritt möchte ich die Übung für diese Woche ansetzen: Unsere Gefühle lernen aus Erfahrungen. Dass ein gutes Selbstbild durch sichere Beziehungen entsteht, gilt nicht nur für die Kindheit, sondern auch für unser Erwachsenenleben. Mit einem niedrigen Selbstwert möchte ich immer gefallen und suche jemanden, der mir gefällt, oder den ich bewundere. Doch das ist kein Fokus, der mein Selbst stärkt.
Der Fokus, der mich in sichere Beziehungen führt, ist, wenn ich auf meine innere Stimme höre und mir eine ganz konkrete Frage stelle. In der Gegenwart von wem fühle ich mich sicher und entspannt? Bei wem habe ich das Gefühl, ganz ich selbst sein zu können. Bei wem muss ich mich für Beziehung nicht anstrengen? Überall dort ist es sicher für mich. Die Entspannung und die Leichtigkeit sind die Zeichen meines Unbewussten, dass ich mich sicher fühle. Das ist meine innere Stimme. Gehe aktiv auf diese Beziehungen zu. Denn in diesen Beziehungen zwingst du dich nicht und wirst nicht gezwungen.
Und in diesen Beziehungen kannst du lernen, dass es nicht gefährlich ist, so zu sein und dich so zu zeigen, wie du bist. So wird sich dein Selbstbild, dein Selbstwert und dein Selbstvertrauen in diesen Beziehungen verbessern. Wo das gelingt, wirst du unabhängiger von den Beziehungen, in denen Urteil, Wertung und Zwang existieren. Dann wirst du dich selbst auch weniger verurteilen, bewerten und dich zwingen.