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Was uns bei Stress tatsächlich beruhigt

Unser Gehirn sucht, wenn wir gestresst sind und in Anspannung, nach einem schnellen Weg, wie wir uns "jetzt in diesem Augenblick" einfach nur besser fühlen können. Doch leider führt uns unser gestresstes Gehirn leicht in die Irre, weil es unter Anspannung nur nach einer "kurzfristigen" Erleichterung und Belohnung sucht. Nach etwas, was "jetzt gleich" in diesem Augenblick eine Belohnung ist - was mir in diesem Moment sofort Entspannung und Erleichterung verspricht und einen Ausgleich zu der ganzen Anspannung, die ich gerade nicht länger aushalte.

Was uns bei Stress tatsächlich beruhigt I Achtsamkeit Blog

Ein Stück Schokolade, eine Zigarette, Alkohol, etwas, was mich auf Social Media zum Lachen bringt, etwas, was ich mir kaufen kann, um mich zu belohnen, .... oft sind es starke Reize, wie würziges Essen, aufregende Filme oder Serien, oder Sex, die mich auch im Stress noch erreichen und mein Belohnungszentrum ansprechen.


Mit diesen starken Belohnungsreizen kommt eine "kurzfristige" Entspannung. Für einen kurzen Moment fühlen wir uns gut. In diesem Moment wird das Belohnungshormon Dopamin ausgeschüttet. Ein positiver Kick. Aber leider lindert Dopamin nur scheinbar das Symptom der Anspannung. Die Anspannung wird dabei sozusagen nur übertüncht. Sie ist nach dem kurzen Kick in gleicher Stärke weiter da.


Leider funktioniert unser Belohnungszentrum so, dass ich das nächste Mal tendenziell einen etwas größeren, stärkeren Reiz brauche, um auf die gleiche kurze, "scheinbare" Entspannung zu kommen.


So führen diese kurzen, verführerischen kleinen Belohnungen in Abhängigkeiten. Es entsteht ein Zwang, oft den immer wieder gleichen Belohnungsknopf zu drücken, ohne dass es mich nachhaltig in Entspannung bringt.


Bin ich entspannt? Wie fühle ich mich nach der Belohnung?


Wie fühle ich mich, nachdem ich stundenlang Serien geschaut habe, Social Media konsumiert, abends immer wieder zum Kühlschrank gelaufen bin, Chips gegessen habe, oder nachdem ich mir 10 Dinge gekauft habe, die ich gar nicht wirklich brauche?


Wenn mich diese Tätigkeiten tatsächlich entspannen würden, würde ich mich infolgedessen entspannt, in mir ruhend, ganz in meiner Mitte und zufrieden fühlen. Doch sehr wahrscheinlich fühle ich mich nach den eben beschriebenen Tätigkeiten unrund, unzufrieden, dumpf im Kopf und weiterhin angespannt. Ich bin nicht bei mir und fühle mich auch nicht gut in Beziehung mit der Welt. Dazu kommt oft das Gefühl, meine Zeit verschwendet zu haben.


Auf diesem Weg kann weder mein Körper noch mein Geist in Entspannung finden. So kann nie Regeneration und wirkliches Wohlbefinden entstehen. Da ich tendenziell immer die gleichen Reize suche, um eine oberflächliche Entspannung zu finden, werden daraus leicht Süchte, die sich immer mehr steigern. Dabei kann sich die Sucht an alles Mögliche binden. Essen, Zigaretten, Alkohol, Serien, YouTube Filme usw. Ich werde abhängig vom kurzen Dopamin Kick, aber die Anspannung löst sich dadurch nie.


Oft bin ich mit diesen Zwängen und Süchten in Konflikt, aber ich komme nicht von ihnen weg. Warum ist das so?


Wenn ich der Versuchung widerstehen will, verfalle ich ihr erst recht


Es gibt bei diesen dopamingesteuerten Verkoppelungen von Anspannung und Belohnung einen starken unbewussten Gewohnheitseffekt. Der bringt mich bei jeder Anspannung dazu, wieder die gleiche Belohnung zu suchen. Und das passiert, weil ich keinen anderen Weg habe, tatsächlich in mir zu entspannen. Versuche ich also dem Zwang zu widerstehen, Süßes zu essen, steigert das die Anspannung in mir und das führt dazu, dass ich dann genau wieder zu Süßem greife, um mich zu beruhigen. In diesem nicht Standhalten kommt es zu einem "ist ja jetzt ohnehin schon egal" Effekt, und ich konsumiere mehr von der Belohnung als vorher.


Dieser Effekt führt Schritt für Schritt in die Resignation und damit bleibe ich in der Falle des Dopaminkreislaufs gefangen. Leider führt genau das zu absurd anmutendem Selbstsabotageverhalten.


Eine Wirtschaftsstudie hat gezeigt, dass Menschen, die sich um ihre Finanzen sorgen, einkaufen, um ihre Ängste und Anspannungen zu beruhigen. Das entbehrt jeder Vernunft - ich erhöhe dadurch meine Schulden, wodurch ich mich später noch mehr überfordert fühle. Versuche ich, Zucker zu widerstehen, erhöht das die Anspannung und ich werde dann umso mehr Zucker essen, um die Anspannung scheinbar wieder abzubauen.


Für ein Gehirn, das sich "jetzt in diesem Moment" einfach nur besser fühlen will, ist dieses Verhalten absolut sinnvoll. Aber dieses gestresste Gehirn hat die langfristigen Folgen dieses Verhaltens in keiner Weise im Blick. Denn langfristig schädige ich mich damit. Ein gestresstes Gehirn ist sozusagen in einem Triebmodus. Nur ein Gehirn im Beruhigungsmodus kann Entscheidungen treffen, die sich nach langfristigen Zielen ausrichten.


Esssüchtige, die sich für ihr Gewicht und ihre mangelnde Kontrolle über das Essen schämen, greifen zu - was sonst? - mehr Essen, um ihre Stressgefühle zu lindern.


Bin ich gestresst, weil ich mit einem Projekt im Rückstand bin, schiebe ich es noch länger vor mir her, um nicht darüber nachdenken zu müssen.


In jedem dieser Fälle wähle ich eine kurzfristige Erleichterung und erlebe eine längerfristige Verschlechterung.


Während viele der beliebtesten Stressbewältigungsstrategien nicht dazu führen, dass wir uns besser fühlen, gibt es einige Strategien, die wirklich funktionieren.


Was bringt mir tatsächlich Entspannung?


Nach Angaben der American Psychological Association sind die wirksamsten Strategien für einen nachhaltigen Stressabbau: Sport treiben, lesen, Musik hören, Zeit mit Freunden oder der Familie verbringen, sich massieren lassen, draußen spazieren gehen, meditieren oder Yoga machen und Zeit mit einem kreativen Hobby verbringen und dabei am besten etwas mit den Händen machen. Denn alles, was ich mit meinen Händen und meinem Körper mache, bringt mich aus meinem Kopf raus in eine Präsenz im jetzigen Augenblick.


Die am wenigsten wirksamen Strategien sind Glücksspiel, Einkaufen, Rauchen, Trinken, Essen, Videospiele spielen, im Internet surfen und mehr als zwei Stunden fernsehen oder Filme ansehen.


Was unterscheidet Strategien, die funktionieren von solchen, die nicht funktionieren?


Anstatt Dopamin freizusetzen und sich auf das Versprechen einer Belohnung zu verlassen, kurbeln die echten Stresslöser die Produktion dreier nachhaltig wirkender, stimmungsaufhellender Hormone an.


Serotonin: Ein Hormon, das für Glücksgefühle sorgt. Es ist sozusagen das Gegenhormon zu Angst- und Depression.


Gaba: Wenn sich ein Gaba-Molekül an ein Protein in deinem Gehirn bindet, hemmt es die Erregung deiner Nervenzellen. Das beruhigt mich nachhaltig.


Oxytocin: Wenn Oxytocin ausgeschüttet wird, fühlen wir uns in der Nähe zu anderen Menschen sicher und geborgen. Oxytocin wirkt als Neurotransmitter direkt im Gehirn und löst ein positives, herzliches Grundgefühl aus.


Alle drei Hormone lösen einen nachhaltigen, tatsächlichen Entspannungseffekt im Körper und in der Psyche aus.


Da die Strategien, die zu wirklicher Entspannung führen, nicht so aufregend sind wie die Dopaminfreisetzer, neigen wir dazu, zu unterschätzen, wie gut wir uns mit ihnen fühlen.


Ich brauche Geduld, die ich im Stress nicht habe


Es kommt bei den wirksamen Strategien nicht zu so einem schnellen und kurzen Entspannungseffekt, sondern zu einem langsameren, dafür umso nachhaltigeren.


Und so braucht es ein bisschen Geduld, bis ich den Effekt spüre. Und Geduld ist leider genau das, was mir im Stress oft nicht zur Verfügung steht. Genau deswegen kommen wir in ein Verhalten, das Stresskreisläufe wie Labyrinthe erscheinen lässt.


So blenden wir im Stress die tatsächlich funktionierenden Strategien aus. Nicht, weil sie nicht funktionieren, sondern weil unser Gehirn, wenn wir gestresst sind, hartnäckig falsch vorhersagt, was uns entspannt und glücklich macht und mich dadurch noch tiefer in die Anspannung bringt.


Das führt dazu, dass wir uns oft ausreden, genau das zu tun, womit wir uns eigentlich besser fühlen würden. Wenn du dich das nächste Mal gestresst fühlst und nach einer guten Methode suchst, Entspannung zu finden, suche nach Wegen, dich mit den wirksamen Entspannungsmöglichkeiten verbinden.


Die Achtsamkeit - und da vor allem der MBSR Kurs ist in der Essenz genau das - ein Weg, in 8 Wochen in den Körper, in die Entspannung, in die Verlangsamung zu finden und sich wieder mit einer nachhaltigen Entspannung verbinden zu können.


Es ist nicht leicht, zu bremsen und zu Geduld zu finden. Daher ist so ein 8 Wochen Workshop oft eine ganz gute Strategie, bewusst zu lernen, wie ich in tiefere Entspannungskreisläufe komme.


Eine zweiter, wichtiger Weg zur echten Entspannung


Mein Gehirn möchte mich immer vor dem beschützen, was mir Angst macht. Mein Gehirn mag es nicht, wenn ich mich zu Dingen zwinge, die mir Angst machen und die mich überfordern. Und genau deswegen lässt es mich Dinge vergessen, Dinge aufschieben und lenkt mich ständig mit Dingen ab, die mich nicht wirklich entspannen.


Es will den Kontakt zu dem unterbrechen, was mir Angst macht und mich so schützen. Wenn ich also darauf höre, was mir Angst macht und diese Situationen vermeide, dann werde ich von ganz alleine wieder in Entspannung finden. So ist jede Sucht und jede Abhängigkeit in der Tiefe ein Zeichen, dass ich nicht in Einklang mit mir lebe und mich zu Dingen zwinge, die mir Angst machen.


Dem zu folgen, was mir Freude macht, was ich möchte und mich zu melden, wenn mir etwas zu viel wird. Gut auf mich zu schauen. Darauf zu achten, dass ich mich in meinem Leben wohlfühle. Das ist der tiefste Weg in die Entspannung. Denn dort liegt die Ursache der Anspannung.

 

Übung:


Womit beschäftigst du dich, wenn du dich gestresst, ängstlich oder niedergeschlagen fühlst?


Bist du anfällig für Versuchungen, wenn du aufgeregt bist? Läßt du dich leichter ablenken oder neigst du eher dazu, etwas aufzuschieben?


Wie wirken sich Stress und Ängste auf deine Willenskraft aus? Wenn du dir deines eigenen Verhaltens bewusst wirst, bekommst du Möglichkeiten, dich in entscheidenden Momenten anders zu entscheiden, als du es im Moment vielleicht gewöhnt bist.


Und wenn du das Gefühl hast, dass die gute Art von Entspannung für dich im Moment gerade hinter den sieben Bergen liegt und einfach nicht zu erreichen ist, dann versuche allem, was hier in dem Beitrag als gute Methoden erwähnt wurde, einen Platz in deinem Leben zu geben. Allem, was dich entschleunigt und dich wieder mit deinem Körper verbindet.

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