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Liebe versus verliebt sein

Diesen Beitrag möchte ich mit einem Zitat beginnen.


Wenn ein Mensch dich wirklich liebt, ist seine größte Angst, dich zu verletzen.


Aber wenn ein Mensch darin verliebt ist, wie er sich in deiner Gegenwart fühlt, ist seine größte Angst, dich zu verlieren.


Verliebt sein versus Liebe I Achtsamkeit Blog

Damit ist schon das Grundthema gesetzt. Verliebtheit, mit allen seinen Hochgefühlen, ist auch oft ein Zustand, der von Angst und Abhängigkeit begleitet ist. Liebe, wenn sie gelingt, ist unabhängig und läßt beide sich frei fühlen.


Heute also ein kleiner Blick darauf, die zwei Qualitäten unterscheiden zu können und zu sehen, dass die beiden Zustände manchmal weniger miteinander zu tun haben, als man glaubt.


Verliebt sein


Verliebt sein wird oft erlebt als Rausch, man kann nicht ohne den anderen sein. Am besten verbringt man jede Minute zusammen. Und wenn nicht, dann ist der andere doch ständig in den Gedanken präsent. Darin zeigt sich schon der suchtartige Charakter. Und jede Sucht ist auch eine Form der Abhängigkeit.


Wodurch zeichnet sich die Verliebtheit aus? Man verbringt ständig Zeit miteinander - und zwar zu zweit, und lebt so in einer Art eigenen Kosmos, der die Welt und den Alltag gerne ausblendet. Alles, was man zusammen erlebt, ist neu. Und es ist eine Zeit, in der das Besondere im Vordergrund steht. Das macht es noch mal aufregender. Ein Wochenende in Venedig, eine tolle Überraschung, ein Ticket für ein Konzert, ein teures Lokal ......


Bei so viel Aufmerksamkeit fühlt man sich schnell so, wie es mein Lieblings-Therapielehrer mal formuliert hat: "Beide leben in dem Gefühl, endlich die Mutter gefunden zu haben, die sie sich immer gewünscht haben." Denn in der Verliebtheit werden die Bedürfnisse beider durch eine Person rund um die Uhr erfüllt. Und das ist an und für sich die Sehnsucht eines Kindes, die sich vielleicht nie erfüllt hat. So kann man sich nur mit diesem Menschen fühlen und das macht den suchtartigen Charakter der Verliebtheit aus. Diese Aufmerksamkeit zu bekommen, so wichtig zu sein für jemanden, danach kann man süchtig werden, vor allem, wenn man genau dort bislang ein Loch hat.


Mögliche Schattenseiten


Oft zeigt man sich in der Verliebtheit von seiner besten Seite. Die Situation ist so schön, dass jede Unstimmigkeit, jeder Konflikt und jeder Unterschied in den Bedürfnissen gerne weggeschoben werden. Denn diese Dinge würden ja das Hochgefühl stören, nämlich die Illusion, dass es mit einem Menschen immer harmonisch und aufregend sein kann und dass das Gefühl der Verliebtheit ewig anhält.


Aufgrund der beschriebenen Dynamik handeln beide oft in der inneren Haltung "Wie muss ich sein, um zu gefallen." Das führt leicht dazu, dass man sich nicht ganz so zeigt, wie man wirklich ist. Beiden Seiten tragen eine Maske, um zu gefallen. In dieser Verliebtheit ist der Fokus auf der Frage, ob ich gefalle und ob mir der andere gefällt.


So editiere ich Dinge, die ich von mir vielleicht nicht so gerne zeige und bei denen ich vielleicht vor mir selbst auch nicht genüge, die ich gerne vor mir und anderen verstecke, wo ich unsicher bin, usw.


Gebe ich als Persönlichkeit vielleicht ohnehin den Bedürfnissen anderer mehr Wichtigkeit, als meinen eigenen, zeige ich mich auch in der Verliebtheit gerne bedürfnislos, was meinem Gegenüber leicht kommuniziert, dass ich keine Bedürfnisse habe. Beziehungsweise, dass die Bedürfnisse meines Gegenübers immer auch meine Bedürfnisse sind. Wenn der andere so gerne in die Natur geht oder klassische Musik hört und ich nicht, dann ist es ja kein Beinbruch, das Gegenteil zu behaupten. Es ist ja so schön mit dem anderen. Da passt es schon, die Dinge gemeinsam zu machen.


Gehe ich so in Beziehung, steure ich leider auf ein narzisstisches Beziehungsmuster zu. Denn ich achte meine eigenen Bedürfnisse und Grenzen nicht, wenn ich mich immer anpasse. Mein Gegenüber muss dann zu dem falschen Schluss kommen, dass ich genauso bin wie er und alles toll finde, was er toll findet. Das heißt, er verliebt sich in ein scheinbares Spiegelbild seiner selbst. Auch Narziss hat im Originalmythos durchaus ein weibliches Wesen an seiner Seite, mit der er gerne Zeit verbringt - und dieses Wesen hieß bezeichnenderweise Echo. Was Narziss gut findet, findet Echo auch gut.


Zeige ich meinem Gegenüber in der Verliebtheit die Person, die er sehen möchte, und mein Partner findet diese Person toll, habe ich ein weiteres Problem. Mein Partner verliebt sich dann in die Maske, aber nicht mich. Wenn ich mich selbst verrate, um in Beziehung zu sein, bleibe ich in der Tiefe alleine. Denn wer ich wirklich bin, hat jetzt keinen Platz mehr. Das ist der Preis der Anpassung und des Selbstverrats in der Verliebtheitsphase.


Aus diesen Gründen hat die in Vielem wunderbare Verliebtheit das Potenzial, Konflikte, die da sind, beiseite zu schieben und Bedürfnisse einseitig zu unterdrücken.


Werden die Konflikte, die da sind, über längere Zeit nicht angesprochen, sind sie dann, wenn sie ausbrechen, umso schwerer zu klären - und die Enttäuschung ist umso größer.


Die Beziehung bewegt sich dann in die -


Die Enttäuschungsphase


Habe ich in der Verliebtheitsphase nicht den Mut, mich zu zeigen, wie ich bin, komme ich mit der Beziehung unweigerlich in die Enttäuschungsphase. Lernt man nach der ersten Verliebtheit den anderen ganz alltäglich kennen, in seinem normalen sozialen Kontext, seinem Umfeld, seinem Beruf, seinen Hobbys und Ritualen, treten die unterschiedlichen Bedürfnisse klarer zutage. Zudem ist der jeweils Andere nicht mehr der einzige Mittelpunkt der Welt. Man fällt sozusagen aus dem Paradies und macht eine harte Landung in der Realität, wenn "das ganze" Leben und Umfeld beider erstmals auch in der Beziehung seinen Platz finden muss. So ist also der Freundeskreis. So richtet der andere sich also ein. Aha, die Eltern wohnen im gleichen Haus und so weiter.


Oft merkt man dann, dass man sich in Vielem, was den anderen ausmacht, getäuscht hat. Oder man hat den anderen getäuscht und wenn man jetzt auf einmal seine eigenen Bedürfnisse einbringt, oder es nicht mehr so toll findet, alles mit dem anderen zu teilen, was der so möchte, kommt es zum Konflikt.


Entwickelt sich eine Beziehung auf die bis jetzt beschriebene Weise, kommt man sehr schnell von der Enttäuschung in die Kampfphase, in der jeder einen Anspruch daran hat, wie der andere sein muss, dass es für mich passt.


Oft versuchen beide über geraume Zeit, den Menschen wieder herzustellen, den sie in der Verliebtheitsphase kennengelernt haben. Das Gefühl ist, "das ist doch der Mensch, den ich kennengelernt habe. Den muss ich doch wieder finden können." Doch der "jetzige" Mensch ist die Realität und der in der Verliebtheit oft nur eine Illusion, eine editierte Version des Ganzen in einer Situation, in der der Rest der Welt ausgeblendet wird.


So entsteht aus einer Verliebtheit oft eine Beziehung, in der jeder den anderen anders haben möchte, als er ist. Am Anfang war alles so toll, alles, wie ich war und was ich gemacht habe, war großartig - und jetzt ernte ich für alles, was ich einbringe, Kritik, Abwertung oder Rückzug. Es entstehen Konflikte, die in einem Muster von Dominanz und Unterordnung ausgetragen werden. Der Mensch, in den ich mich verliebt habe, wird zu einem Menschen, vor dem ich Angst habe.


Wenn ich mich dann in der Phase der Beziehung zeige, wie ich bin, verliere ich die Beziehung zu meinem Partner. Wenn ich mich nicht zeige, wie ich bin, verliere ich Selbstbeziehung. Ich fühle mich ohnmächtig. Und alle Versuche, die ursprüngliche Verliebtheit auf der Basis wieder herzustellen, sind zum Scheitern verurteilt.


Und so kommt es dazu, dass sich Menschen oft nach der Verliebtheitsphase wieder trennen oder in eine lange und ermüdende Kampfphase gehen, in der es unglaublich schwierig ist, die entstandenen Konflikte zu zweit wirklich zu klären. Denn der Anspruch, dass der andere anders sein muss, als er ist, damit es mir gut geht, liegt wie ein Fundament unter der Oberfläche aller Konflikte. Und damit ist die Beziehung von gegenseitigem Zwang und innerem Rückzug geprägt.


Erlebe ich die Verliebtheit, ohne den Mut, mich zeigen zu können, ist es sehr schwer, in eine liebende Beziehung zu finden.


Verliebtheit ohne Schattenseiten


Je früher Menschen, die sich kennenlernen, den Mut haben, sich so zu zeigen, wie sie sind und je früher sie Konflikte ansprechen, umso schneller haben sie die Möglichkeit, herauszufinden, ob sie mit ihren Unterschiedlichkeiten gut umgehen können.


Beziehungen, die lange halten und ihre Konflikte gut klären können, beginnen damit, dass beide von Anfang an auch unterschiedliche Bedürfnisse zum Ausdruck bringen. Die Fähigkeit, unterschiedliche Bedürfnisse so abzugleichen, dass es für beide passt und dabei Verständnis und Mitgefühl haben zu können, ist das zentrale Element für eine liebevolle Beziehung. Am Anfang und ab da für den Rest der Beziehung. Das ist die Essenz.


Da Beziehungen immer ab Anfang ein gemeinsames Muster schaffe, ist es wichtig, gleich so rein zu starten. "Grenzen sind der Abstand, den ich brauche, um mit dir und mir gleichzeitig in Beziehung zu sein", heißt es. Wenn ich mir selbst den Wert gebe, meine Grenzen zu zeigen und zu meinen Bedürfnissen zu stehen, kann ich gleich sehen, ob wir miteinander gut umgehen können.


Wo das ab Anfang gelingt, ist die Beziehung von Sicherheit und Vertrauen getragen und ich habe eine Partnerschaft mit gegenseitiger Wertschätzung. Denn in der Regel habe ich für den Partner den Wert, den ich mir auch selbst zugestehe.


Der Fokus liegt dann schon ab Anfang in der Verliebtheit auf der Erfahrung, wie angenehm es ist, in der Nähe des anderen ganz ich selbst sein zu können. Und nicht darauf, was ich tun muss, um dem anderen zu gefallen.


Dort, wo Nähe zu einem anderen möglich ist, ohne sich dabei selbst zu verlieren, sind Selbstbeziehung und Beziehung gleichzeitig möglich.


Damit kommen wir zur -


Liebe


Ein weiteres schönes Zitat: "Intimität ist die maximale Nähe zu jemandem unter Anerkennung der Andersartigkeit des anderen."


Zu erlauben, dass jeder so sein darf, wie er ist, ohne den Wunsch und Anspruch, er sollte anders sein, das ist für mich Liebe. Dort, wo die Handlungen des anderen mich verletzen, muss ich mich zeigen können. Und wenn Mitgefühl und Verständnis möglich sind, wird der andere gerne auf mich Rücksicht nehmen. Denn weil er mich gerne hat, möchte er mich ja nicht verletzen.


Das ist die Basis einer gelingenden Liebesbeziehung. Hier sieht man sehr schön, wie Selbstliebe und Liebe sich ergänzen. Wenn ich mich selbst zeigen kann, statt mich für mich und meine Bedürfnisse zu schämen, dann kann mich mein Gegenüber so sehen, wie ich bin. Dann gehe ich wirklich in Beziehung. Meine Bedürfnisse so einzubringen, dass ich mit ihnen nicht dominiere, keinen Zwang ausübe, ist auf der anderen Seite genauso wichtig.


Wenn sich zwei Menschen ohne Maske begegnen können und es gut ist, dann dürfen in der Beziehung auch beide so sein und so bleiben, wie sie sind. Und dann stellen sie fest, dass man sich für gute Beziehung nicht anstrengen muss. Dann darf es ganz leicht gehen.


"Liebe so, dass sich der andere frei fühlt", ist ein Satz vom buddhistischen Mönch Thich Nhat Hanh. In einer Beziehung, in der jeder so sein darf, wie er ist, entsteht kein Zwang. Und so kann sich jeder frei fühlen, seine eigenen Bedürfnisse "und" das Gemeinsame leben. Autonomie und Bindung bekommen zwei gleichwertige Plätze in der Beziehung. Sie koexisteieren, ohne dass Konflikt entsteht.


In der Liebe sind beide Partner im besten Fall emotional und existenziell unabhängig. Und genau aus dem kommt die Möglichkeit zur maximalen Nähe. Ich bin nicht vom anderen abhängig, um mich gut zu fühlen.


Unterschiedlichkeiten


Wünscht sich die Schattenseite der Verliebtheit einen Menschen, der am besten genauso fühlt und die gleichen Bedürfnisse hat, wie er selbst, weil man dann nie in Konflikt sein muss, ist die Realität der Liebe das Gegenteil. Man erfreut sich an der Andersartigkeit des anderen, weil sie ein befruchtendes Element für eine lang bestehende Partnerschaft ist. Und weil es beiden Partnern ein Maß von Autonomie erlaubt, die für jede lange Partnerschaft wichtig ist.


Die Realität ist, dass es keine zwei Menschen auf der Welt gibt, die gleich fühlen und die die gleichen Bedürfnisse haben. Deswegen ist es so wichtig, die Andersartigkeit anzuerkennen als etwas, was bereichernd ist.


Natürlich braucht jede Liebesbeziehung auch eine Schnittmenge gleicher Bedürfnisse, in der sich beide wohlfühlen. Sonst gibt es zu wenig Gemeinsames, auf das man sich beziehen kann.


Die Essenz von Liebe


Das Wichtigste bei der Liebe ist, sich eine Beziehung zu bewahren, in der das Gefühl von Sicherheit und Vertrauen so stark ist, dass sich beide Seiten immer mit ihren Gefühlen zeigen können und vom Gegenüber ohne Wertung und Urteil auch so gesehen werden.


Letztlich ist es die Fähigkeit, immer wieder beidseitiges Verständnis und Mitgefühl herstellen zu können, die eine Liebe lebendig hält. Finde ich das mit einem Menschen, darf ich bei diesem Menschen und mir selbst gleichzeitig zu Hause sein.


Dort, wo in Beziehung keine oder wenig Angst ist, gibt es kein Urteil, keine Wertung, keine Kritik, keinen Anspruch, keinen Vorwurf und keine Unterstellung.


Stattdessen gibt es Begegnung, Mitgefühl und Verständnis.


Liebe bedeutet, dass ich die Verantwortung habe, dem anderen Gegenüber liebevoll zu handeln. Und wenn ich die Rückmeldung bekomme, dass ich den anderen verletzt habe, zu verstehen, mitzufühlen und meine Handlung so anzupassen, dass sich diese Verletzung nicht mehr wiederholt.


Dazu ein weiteres Lieblingszitat von mir von Thomas Hübl: "Beziehung heißt, dass deine Wirklichkeit in mir stattfinden darf."


Und damit kommen wir wieder zum Anfangszitat:


Wenn ein Mensch dich wirklich liebt, ist seine größte Angst, dich zu verletzen.


Aber wenn ein Mensch darin verliebt ist, wie er sich in deiner Gegenwart fühlt, ist seine größte Angst, dich zu verlieren.


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