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Die 9 Aspekte der Achtsamkeit Teil 6 - Loslassen


9 Aspekte der Achtsamkeit Teil 6 - Loslassen - Achtsamkeit Blog

Die 9 Aspekte der Achtsamkeit sind so etwas wie eine Sammlung der Grundwerte, mit denen die Achtsamkeit aufs Leben schaut. Der heutige Beitrag ist zum Thema "Loslassen".

 

Loslassen bezieht sich in der Essenz darauf, daß wir letztendlich nichts festhalten können, da alles vergänglich ist. Irgendwann kommt der Moment, wo es angemessen ist, etwas ziehen zu lassen, und ja dazu zu sagen - in Anerkennung der Wirklichkeit, daß etwas vorbei ist.

Egal ob es ein Gefühl ist, eine Liebe, eine Beziehung, eine Arbeit, eine Jahreszeit, ein Zustand, oder ein alter Gegenstand ist. Irgendwann kommt die Zeit nicht mehr an etwas festzuhalten.

Oft halten wir an etwas fest, was in der Form gar nicht mehr existiert. Wir leben noch in einer Beziehung, weil wir uns an die Liebe erinnern, die da war, aber nicht mehr ist. Wir wollen den Sommer nicht ziehen lassen, auch wenn der Winter schon da ist. Wir hängen noch am Verlust einer geliebten Person, weil wir das Gefühl haben ohne sie nicht leben zu können, oder sind traurig, weil die Kinder ausgezogen sind.

Getrennt vom Leben

Wenn wir an zu vielem festhalten, was vorbei ist, sind wir ständig in Kontakt mit etwas, was nicht mehr lebendig ist. Wir verlieren den Kontakt zur Gegenwart, denn wir leben in der Beziehung zur Vergangenheit - in der Illusion dort noch etwas zu kriegen, was wir für unser Leben brauchen.

In meiner Achtsamkeitsausbildung hat eine kleine Gruppe von uns den Aspekt Loslassen sehr poetisch dargestellt. Ein Mann hatte einen Haufen zusammen geknüllter Papiere in der Hand. Zwei andere haben ihm immer wieder neue Papiere gebracht. Er wollte sie nehmen, aber es ging einfach nicht, da seine Hände voll waren - so fiel ihm alles Neue aus den Händen. Mit der Zeit wurde er immer trauriger. Aber er konnte das, was er in Händen hielt, nicht loslassen.

Im Augenblick sein

Unsere Fähigkeit in Beziehung zu sein, unsere Aufmerksamkeit wo hin zu richten ist begrenzt. Am Lebendigsten sind wir, wenn wir mit unserer Aufmerksamkeit im jetzigen Augenblick sind und damit präsent für das, was das Leben gerade jetzt ist - im einzigen Moment, an dem wir wirklich lebendig sind.

Je besser uns das gelingt, desto mehr üben wir das Loslassen von Moment zu Moment. Wenn wir im Augenblick sind, sind wir mit unserem Leben verbunden. Die Vergangenheit und das Unerledigte lenken uns vom Augenblick ab. Auch die Erwartungen und Ängste in Bezug auf zukünftige Ereignisse tun das. Nur wenn wir beides loslassen können, können wir im Augenblick ankommen.

Jeden Augenblick, den wir voll erleben, können wir auch loslassen. Es sind die Beziehungen, Gefühle und Momente, in denen wir das Leben nicht voll leben - bei denen noch etwas offen ist, die wir nicht loslassen können. Und so kosten sie uns unsere Lebendigkeit. Durch sie verlieren wir die Fähigkeit im Moment zu sein, ihn zu erleben und zu spüren.

Etwas nicht mehr halten können

Je mehr es ist, das wir nicht loslassen können, desto größer wird die Last. Auch im Alltag.

Artikel, die wir noch lesen wollten, Rechnungen, die wir noch mal brauchen könnten, alte Bücher, die vielleicht noch mal jemand liest, die 15 Jahre alten Pullover, die eigentlich kaputte Kaffeemaschine, die immer noch im Küchenschrank steht. Und die zu vielen Verpflichtungen, denen wir gerecht werden wollen, auch wenn wir merken daß es sich nicht ausgeht.

Je mehr wir festhalten, desto größer wird der Kraftaufwand. Desto größer wird die Verwaltung, die mit dem zu Vielen irgendwie umgehen muss. Die Emails, die noch nicht beantwortet sind, die Arbeiten, die noch nicht gemacht sind, die Veranstaltungen, die ich noch besuchen wollte - es geht sich alles nicht mehr aus, und ich brauche für die Verwaltung des zu Vielen in meinem Leben mehr Zeit als mir zum Leben selber bleibt. Dann geht es mir wie dem Mann mit den Papieren - ich kann das Viele nicht mehr halten.

Beziehung zu mir selber

Ich bin mit allem in Beziehung, was ich versuche zu halten. Und je mehr ich versuche so Vieles zu halten, desto weniger bin ich in Beziehung zu mir selbst. Denn für mich und meine lebendigen Bedürfnisse bleibt keine Zeit mehr. Kaum habe ich den Gedanken, daß ich etwas für mich mache, kommt die innere Stimme, die zur Ordnung ruft - denn wer soll sich in der Zeit um alles kümmern was ich nicht loslassen konnte?

So wird die Übung des Loslassens zur ständigen Übung darin mit sich selbst und dem Augenblick in Kontakt zu kommen. So wie er ist. Und in Einklang damit zu kommen, daß wir nichts festhalten können. Wenn wir leben wollen, ist loslassen die einzige Option. Kein Augenblick ist wie ein anderer, keine Situation wiederholt sich genau so wieder. Das Leben passiert nur jetzt.


Im jetzigen Augenblick kann mir auch die Vergangenheit begegnen. Durch eine Bild, durch einen Geruch, durch eine Assoziation. Diese Begegnung führt zu einem Gefühl. Doch das Gefühl und die Begegnung gehören dann zu diesem Augenblick. So bleibt die Vergangenheit lebendig - auch wenn ich das wie es war losgelassen habe. Mit allen Gefühlen, die dazu gehören etwas Wichtiges los zu lassen.

Gezwungenes Loslassen in der Krise

In der Krise sind wir oft gezwungen loszulassen, weil wir uns erschöpft haben. Etwas ist einfach nicht mehr zu halten. Oft ist es die Ohnmacht, die uns zwingt aufzugeben und vor der Wirklichkeit zu kapitulieren. Wenn die Ohnmacht uns lang genug hält, in dem Wissen, daß es nichts mehr zu retten gibt, lassen wir los. Oft mit dem Gefühl zu ertrinken oder ins Bodenlose zu fallen. Doch im Loslassen zeigt sich meist, daß es erleichtert. Daß Last, Anstrengung und Anspannung abfallen. Daß es gut tut erschöpft liegen zu bleiben - und wieder zu sich zu kommen. Noch nicht wissend wie es weiter geht.

Identität

Wir verändern uns ständig. Jedes Bild, das wir von uns haben, müssen wir irgendwann loslassen. Denn es existiert nicht mehr. Oft merken wir, daß uns die Haut, in der wir leben zu eng geworden ist - wir müssen uns häuten wie eine Schlange, damit die Person, die wir geworden sind, sich in ihrer Haut wieder wohlfühlt.

Je leichter wir davon loslassen, ein fixes Bild von uns zu haben, desto leichter wird Wachstum und Leben, desto regelmäßiger und selbstverständlicher können wir uns häuten. Das Loslassen spaltet sich nicht ab, von dem wer wir waren. Loslassen läßt nur das alte Bild los, und erkennt an, daß etwas dazu gekommen ist, daß das Alte zwar beinhaltet, aber das Neue ist größer. Es braucht mehr Platz in seiner neuen Haut.


Lösung durch Loslassen


Mit der wichtigste Aspekt von Loslassen ist das Lösende. Wenn ich nicht loslassen kann, heißt das immer auch festhalten und anspannen. Das entspricht körperlich und psychisch einer Angstreaktion, in der ich mich eng und abgeschnitten fühle.


Loslassen entspricht dem Ausatmen, dem Entspannen. Es wird wieder weit in meinem Körper und auch in meiner Psyche. In der Weite entstehen auf einmal mehr und andere Möglichkeiten mich auf die gleiche Situation zu beziehen.


Wann immer ich mich in eine Situation entspannen kann, komme ich wieder in Beziehung mit mir selber.


Lösung heißt auf körperlicher Ebene nichts anderes, als daß sich die Muskeln wieder lösen können. Das ist das Ende der Angstreaktion. Energie kann fließen und ich kann wieder angstfrei in Beziehung mit der Welt gehen.


Jeder Aspekt der Achtsamkeit bringt mich letztlich aus einer Anspannung in eine Entspannung. Und Entspannung ist immer Beziehung.


Einklang

Im Einklang mit der ständigen Veränderung wird Loslassen zu einer Übung, die uns immer wieder ins Jetzt zurückholt. Und das ist letztlich das Ziel von Achtsamkeit - mit allen Sinnen im Jetzt zu sein und dabei in Beziehung mit sich selbst und der Welt.


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