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Wie Achtsamkeit Stress und Angst reduziert

Wenn Stress heftig wird, können wir uns weder konzentrieren, noch zur Ruhe kommen, noch klar denken, noch das Wichtige vom Wesentlichen unterscheiden. Wir sind von Ängsten getrieben und kommen mit uns selbst und anderen in Konflikt. Nüchtern betrachtet sind wir dann nur noch ein Schatten unserer selbst und wir fühlen uns in der Situation oft ohnmächtig.


Dieses Gefühl besteht ganz zu Recht, denn im Stress übernimmt ein instinktgesteuerter Teil die Regie in uns, während wir von unserem freien Willen und unseren sozialen Fähigkeiten abgeschnitten sind.


Bevor wir darauf schauen, wie Achtsamkeit hilft, Stress zu reduzieren, zuerst ein kurzer Blick darauf, was da im Stress in uns überhaupt passiert.


Was passiert im Gehirn bei Stress?

In der folgenden Zeichnung ein kleiner Blick in die Teile unseres Gehirns, die dafür zuständig sind, ob wir in Beziehungen mit unserem freien Willen und emotional angemessen reagieren können, oder ob wir so in Konflikt sind, dass das Tier in uns regiert, dass sich durch Kampf oder Flucht aus der Situation befreien will.


Wie Achtsamkeit Stress und Angst reduziert I Achtsamkeit Blog

In dieser groben Darstellung unseres Gehirns sitzt in der Mitte unser Angstmelder, die Amygdala. Sie ist Teil unseres sogenannten emotionalen Gehirns. Hier werden alle emotionalen Erfahrungen unseres Lebens speichert und miteinander vernetzt. Dieser Bereich des Gehirns steuert auch unsere Gefühlsreaktion.


Taucht in meiner heutigen unmittelbaren Erfahrung irgendein Element auf, das mir früher mal viel Angst gemacht hat, dann schlägt mein Angstmelder in Millisekunden Alarm, um mich vor der Gefahr zu schützen.


Noch bevor ich einen Gedanken haben kann, falle ich in eine instinktive Flucht- oder Kampfreaktion.


Das denkende Gehirn wird in einer Angstsituation einfach umgangen - und damit auch mein freier Wille, wie ich in der Situation reagieren möchte. Empathie, Resonanz mit meinem Gegenüber, Mitgefühl, das Einnehmen einer anderen Perspektive - alle diese Dinge sind für mich dann nicht mehr zugänglich. Sie sind einfach biologisch abgeschalten.


Ab da regiert das Tier in mir. Alle Vorteile reflektierten und sozial abgestimmten Handelns, die mir als Mensch sonst zur Verfügung stehen, sind weg.


Die ganze Flucht- und Kampfreaktion dient dazu, meine Grenze wieder herzustellen. Im Angriff mache ich mir Platz, in dem ich den anderen vertreibe. In der Flucht kriege ich wieder Raum, in dem ich weglaufe.


Beziehung und Herzlichkeit werden erst wieder möglich, wenn ich aus der Angstreaktion wieder rauskomme und mich beruhige. Erst dann wird die Achse zwischen Angstmelder und denkendem Gehirn wieder aktiviert.


Was passiert, wenn ich weniger starke Angst habe?

Habe ich weniger starke Angst, wird in meinem Gehirn die Achse zum präfrontalen Cortex (siehe Skizze - grüne Achse) aktiviert. Diese Achse beinhaltet den oben erwähnten freien Willen, die Fähigkeit andere Perspektiven als die eigene mit einzubeziehen und sozial angemessen in Beziehung zu gehen. Bin ich in der Achse gut angebunden, kann ich mitfühlend und herzlich in Beziehung gehen.


Ist die Angstreaktion nicht so groß, bringt der präfrontale Cortex innere Wahrnehmung und äußere Situation in Abgleich. Mein denkendes Gehirn kann in der äußeren Realität überprüfen, ob ich in der Situation in diesem Moment sicher bin. Ist das so, gibt der präfrontale Cortex Entwarnung an den Angstmelder. Ich kann mich wieder beruhigen.


Auf diesem Weg werde ich zwar von der Angst informiert, aber ich werde nicht durch sie gesteuert.


Wie greift die Achtsamkeit in diese Prozesse ein?


Achtsamkeitstrainings wie die MBSR Workshops bewirken, dass die Achse zwischen präfrontalem Cortex und Amygdala gestärkt und die Achse zwischen Angstmelder und Instinktreaktion weniger oft angesteuert wird.


In der Meditation und im achtsamen Yoga wird geübt, bewusst den Fokus im Jetzt zu halten, auch wenn ein Stressor auftaucht. Ich übe Stück für Stück, die Flucht- oder Kampfreaktion Reaktion auszusetzen und die Situation bewusst zu prüfen, bevor ich handle.


Diese Übung stärkt den präfrontalen Cortex und führt dazu, dass in diesem Teil meines Gehirns schnellere Reaktion ausgelöst werden als üblich. Meditation, achtsames Yoga und die Haltung der Achtsamkeit wirken wie ein Muskeltraining für den freien Willen. Statt der Muskelmasse wächst im präfrontalen Cortex die graue Masse, die die Prozesse in diesem Teil des Gehirns beschleunigt.


Ich lerne also, mir in Situationen bewusst die Zeit zu nehmen und abzuwägen, ob meine emotionale Reaktion in der Situation angemessen ist - oder ob sie nur einem alten Muster entspricht.


Stück für Stück lernt die Amygdala, der Angstmelder, dem denkenden Teil des Gehirns zu vertrauen, dass er gute Entscheidungen trifft, die meine Grenzen gut schützen. Dadurch wird sie kleiner - ist weniger reizbar. Ich habe gegenüber den gleichen Stressoren weniger Angst. Offensichtlich ist es nicht mehr notwendig, so oft anzuspringen. Mein Angstmelder selbst beruhigt sich. Das ist der Ausdruck von Gelassenheit im Gehirn.


Das Schrumpfen des Angstzentrums und die gleichzeitige Stärkung des präfrontalen Cortex führen dazu, dass ich in stressigen Situationen deutlich seltener von einer Angstsituation gekapert werde. Die Stressoren bleiben die gleichen, aber ich bleibe bei mir und kann auch mit schwierigen Situationen in Beziehung bleiben.


Dieser Umbau des Gehirns in Richtung eines neuen Gleichgewichts zwischen Angstmelder und freiem Willen bei einem achtwöchigen MBSR Kurs ist wissenschaftlich nachgewiesen.


Auf diesem Weg lerne ich, Stück für Stück aus alten Angst- und Beziehungsmustern auszusteigen - indem ich zwischen Reiz und Reaktion einen Unterbecher einbaue - einen Moment, in dem ich bewusst mit entscheiden kann.


Zum Abschluss dieses Beitrags ein Zitat von Viktor Frankl, das sich auf diesen Moment des Innehaltens bezieht:


Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt die Macht unserer Wahl. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.


 

Übung:


Die oben beschriebene Umbau des Gehirns braucht Übung und gute Einweisung durch einen erfahrenen Achtsamkeitslehrer. Einen Kurs zu besuchen, erleichtert die Orientierung in dieser Form der achtsamen Wahrnehmung sehr.


Für alle, die einen ersten Schritt machen wollen, eine kleine Übung zum Einstieg:


Probiere, in deinem Alltag ganz bewusst das Innehalten zu üben. Nicht sofort zu reagieren, sondern eine kleine Pause einzubauen. Achte bewusst darauf, welche Angebote da aus deinem Unbewussten kommen und frage dich, ob das jetzt gerade die beste Möglichkeit ist, mit der Situation umzugehen.


Wer neugierig ist, kann mit dieser kleinen Übung interessante erste Entdeckungen machen und wird vielleicht in der einen oder anderen Situation anders reagieren, als er es von sich gewöhnt ist.


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