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Man soll ein Kind nicht aufheben, bevor es hingefallen ist


Im Schottischen gibt es ein Sprichwort: "Man soll ein Kind nicht aufheben, bevor es hingefallen ist."

Es ist ganz klar, daß es darum geht, dem Kind die Erfahrung zu lassen. Denn nur durch Erfahrung entsteht Beziehung zu dem was man tut. Nur durch Erfahrung lernen wir uns selbst, unsere Grenzen und die Welt kennen. Nur durch Erfahrung erleben wir daß wir scheitern, wenn wir etwas Neues probieren, daß das Scheitern aber nicht schlimm, sondern gut ist. Denn am Scheitern lernen wir.

"Hilfe ist die süße Seite von Kontrolle", sagt Anne Lamott in ihrer großartigen Aufzählung der Dinge, die sie in ihrem Leben gelernt hat.

Ich traue dir etwas nicht zu

Wenn ich mein Kind aufhebe, bevor es hingefallen ist, sage ich meinem Kind damit - ich traue dir nicht zu, daß du es von dir aus gut hinbekommen hättest.

Aus dieser Haltung entsteht leicht das was man als sich selbst erfüllende Prophezeiung bezeichnet. Ein Kind, das nie eine Erfahrung selber machen darf, weil es dabei scheitern kann, oder sein Scheitern vorgehalten bekommt, lernt nicht gern etwas Neues dazu. Es wird ängstlich. Es gewöhnt sich daran Dinge nicht zu können und bekommt das Bild von sich, daß es Dinge eben einfach nicht kann - und andere doch.

Wenn ein Kind nie auf einen Baum geklettert ist und es dann nach Jahren doch probiert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß es nicht funktioniert. Das ist dann gleich wieder der Beweis, daß man es besser gar nicht probiert.

Der Selbstwert leidet

In so einer Situation leidet der Selbstwert und man wagt sich nicht gern raus in die Welt. Man sucht sich dann als Erwachsener auch gern wieder einen Partner, der es besser weiß. Und man hat vor mehr Dingen Angst - ganz einfach weil man es nicht gewöhnt ist sich in unbekannte Situationen zu begeben. Es entsteht das innere Bild, daß man sowieso scheitern wird. Wie sollte man etwas so unbekanntes überwinden, wenn man in seinem eigenen Leben kein Vorbild dafür hat, daß man solche Situationen gut meistern kann. Wenn man nicht gelernt hat, daß Fehler und Scheitern wichtige Helfer beim Lernen sind, sondern Angst vor ihnen hat, nimmt man lieber nicht teil.

Und man käme nie auf die Idee, daß das Unbekannte auch positiv aufregend sein kann.

Angst oder aufregend?

Eine amerikanische Studie zeigt, daß ängstlich zu sein, und etwas aufregend zu finden oft fast idente emotionale Zustände sind.

Es ist nur unsere innere Haltung, die darüber bestimmt mit welchem Gefühl wir auf etwas zugehen. Wenn wir bewußt unser ängstliches Gefühl in ein Gefühl der Aufgeregtheit umdeuten, zieht das andere Gefühle nach sich. Gefühle der Neugier, hoher Energie, Wachheit. Oft ein Lächeln auf dem Gesicht.

Der gleiche hohe Energiezustand kann uns im Käfig der Angst einengen oder er kann uns durch positive Gefühle mit der Welt verbinden.

Egal ob es um uns selber geht, um unsere Kinder, oder um irgend einen Menschen, der uns nahe ist. Wir können anderen nur helfen, indem wir ihnen den Schritt in die eigene Erfahrung ermöglichen. Niemand von uns "weiß" etwas was dem Anderen hilft. Denn jeder ist anders und jeder braucht etwas anderes um einen / seinen Weg zu gehen.

Darum hat schon Oscar Wilde gesagt: "Ich gebe gute Ratschläge immer weiter. Das ist das einzige was man mit ihnen machen kann."

Die Angst vor dem Neuen und Unbekannten ist immer wieder da, wenn wir an einer Schwelle zu etwas stehen bei dem wir uns selbst noch nicht kennen. Doch erleben können wir uns in dieser unbekannten Welt nur, wenn wir uns trauen den Schritt über diese Schwelle zu machen.

Ich empfehle hierzu auch den Eintrag "Ein Weg entsteht, indem man ihn geht" zu lesen.

 

Übung

Die Übung zu diesem Eintrag ist ganz bewußt wahrzunehmen, daß wir eine Wahl haben, wohin wir mit dem hohen Energiezustand in der Begegnung mit dem Neuen und Unbekannten gehen.

Wenn es um uns selber geht, dann können wir den hohen Energiezustand wahrnehmen, und uns damit verbinden, daß es aufregend ist etwas Neues zu wagen. So können wir uns mit dem Gefühl von Abenteuer einen Weg bahnen - immer im Wissen, daß es zum Neuen gehört, daß wir es noch nicht kennen und daher auch noch nicht können. Daß es normal ist Fehler zu machen und daß jeder Fehler uns hilft es beim nächsten Mal besser zu machen. Auch in dem Wissen, daß wir vorsichtig sein müssen, und uns nicht überschätzen sollten.

Wir können uns im Neuen nur selber kennenlernen, indem wir mit dem Neuen in Beziehung gehen und so Schritt für Schritt lernen. Jedes Scheitern ist ein Hinweis darauf, wie es besser gehen kann. Wenn wir mit den Grundwerten der Achtsamkeit - mit Vertrauen und Geduld voran schreiten, ist Wachstum und Lernen möglich. Das gilt für jeden von uns. Es geht nur um unsere Haltung an der Schwelle.

Wo es Kinder berührt oder Freunde, können wir Mut machen Dinge auszuprobieren. Wo wir Erfahrung haben können wir vielleicht Rat geben wie groß der nächste Schritt wohl sein kann. Und ab da legen wir das was zu erfahren ist in die Hände derer die es erfahren - ziehen uns zurück, und sind dafür da die Erfahrungen gemeinsam zu reflektieren und weiter Mut zu machen.

Nur wenn wir die Möglichkeit haben uns mit unserer eigenen Wahrnehmung zu verbinden, leben wir.


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